Medizin

Nackter Methusalem

Der Nacktmull kann steinalt werden

Während eine Maus mit zwei Jahren bereits geradewegs auf ihr Lebensende zusteuert, steckt ein Nacktmull in diesem Alter fast noch in den Kinderschuhen. In Nager-Maßstäben gemessen kann Heterocephalus glaber nämlich steinalt werden: 20 bis 30 Jahre erreichen die meisten Exemplare – und bleiben dabei auch noch bis zuletzt fit. Es scheint, als ob der Nacktmull über eine Art inneren Jungbrunnen verfügt.

Der Prozess des Alterns gehört zum Leben unweigerlich dazu - gilt das für den Nacktmull nicht? © Evgenyatamanenko/ iStock.com

Ewig jung?

Ein Grund für seine scheinbar ewige Jugend ist sicherlich, dass das Nagetier nie an Krebs erkrankt. Doch das ist noch nicht alles: Die Zellen des Nacktmulls altern auch insgesamt viel langsamer als die anderer Säugetiere. Der Prozess der Zellalterung zeigt sich normalerweise durch vielfältige Symptome: Der Stoffwechsel wird langsamer und fehleranfälliger, die Zellen können nicht mehr so gut mit Stress umgehen. Erkrankungen wie Krebs, Arteriosklerose, Diabetes oder Alzheimer können die Folge sein.

Der Nacktmull zeigt all solche Alterserscheinungen nicht. Altern – das scheint im Leben des Nagers im Gegenteil so gut wie gar keine Rolle zu spielen, wie Untersuchungen von Rochelle Buffenstein vom Forschungsunternehmen Calico in San Francisco eindrucksvoll belegen. So haben die Wissenschaftlerin und ihre Kollegen erst kürzlich herausgefunden, dass der Nacktmull von einem Muster abweicht, das ansonsten für alle Säugetiere auf diesem Planeten gültig ist: Mit zunehmendem Alter steigt die Sterblichkeit.

Risiko bleibt gleich

Mathematisch lässt sich dieser Zusammenhang mit der nach einem britischen Forscher benannten Gompertz-Funktion darstellen. Demnach nimmt die Mortalität eines ausgewachsenen Säugetiers exponentiell mit seinem Alter zu. Für einen Menschen bedeutet das zum Beispiel konkret, dass sich sein Sterberisiko ab einem Alter von 30 Jahren alle acht Jahre in etwa verdoppelt.

Auf den Nacktmull lässt sich diese Formel dagegen nicht anwenden: Bei ihm liegt das Sterberisiko mit Beginn der Geschlechtsreife im Alter von sechs Monaten bei knapp über 1:10.000, wie Buffensteins Team berichtet – und genau bei diesem Wert bleibt es auch für den größten Teil des Nacktmull-Lebens. „Das geht über alles, was wir bisher über die Biologie von Säugetieren wissen“, betonte Buffenstein gegenüber dem Fachmagazin „Science“.

Liegt das Geheimnis des ewig jungen Nacktmulls in seiner DNA-Reparatur? © Ralf Günther/ FVB

Altern besser verstehen

Doch warum altert der Nacktmull nicht oder nur sehr verzögert? Dieses Geheimnis hat der Nager bisher noch nicht preisgegeben. Erste Indizien haben Forscher jedoch bereits gefunden. So scheint die DNA des „nackten Methusalems“ ungewöhnlich reparierfreudig zu sein. Außerdem besitzt er einen speziellen Mechanismus, der die Anhäufung von Zellmüll auch im Alter verlässlich verhindert und die Zellen somit lange funktionsfähig hält.

Klar ist: Wenn Wissenschaftler die Hintergründe der außergewöhnlichen und gesunden Langlebigkeit des Nacktmulls vollständig entschlüsselt haben, können sie vielleicht auch die Biologie des menschlichen Alterns besser verstehen. Dabei geht es in erster Linie nicht darum, die Lebenserwartung unserer Art ins Unermessliche zu steigern.

In Zeiten des demographischen Wandels und einer schon jetzt immer älter werdenden Gesellschaft treibt Forscher derzeit vor allem eine Frage um: Wie lässt sich in einer definierten Lebensspanne die Zeit mit größtmöglicher Gesundheit verlängern? Der Nacktmull könnte die Antwort schon kennen.

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Stand: 16.02.2018

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

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