Neutrinos geben zwar selbst noch viele Rätsel auf, gleichzeitig aber erweisen sie sich auch als praktische Werkzeuge, um mehr über bisher ungeklärte Vorgänge im Weltall herauszufinden. Eine dieser offenen Fragen ist die Quelle der kosmischen Strahlung. Die Erde wird ständig von ganzen Strömen energiereicher Teilchen getroffen. Sie enthält dabei Protonen und andere geladene Partikel, deren Energie bis zu hundert Millionen Mal höher ist als alles, was in irdischen Teilchenbeschleunigern erzeugt werden kann.
Eine so gewaltige Energiemenge kann nicht einfach von einem normalen Stern oder Himmelskörper stammen, so viel war schon früh klar. Eigentlich kamen nur zwei kosmischen Ereignisse als Quelle der kosmischen Strahlung in Frage: Gammastrahlenausbrüche (GRB) und die supermassereichen schwarzen Löcher im Zentrum aktiver Galaxien. Beide Phänomene erzeugen so viel Hitze und Energie, dass sie weithin leuchten und noch über Milliarden von Lichtjahren hinweg zu sehen sind. Beide beschleunigen gewaltige Jets aus Protonen und anderen geladenen Teilchen, von denen ein kleiner Teil – etwa fünf Prozent schätzen Forscher- in Neutrinos umgewandelt werden. Aber wer von beiden ist der tatsächliche Ursprung der kosmischen Strahlung – oder sind es gar beide?
Lichtsignale aus dem Eis
Antwort auf diese Frage haben Astronomen erst vor kurzem mit Hilfe eines Neutrino-Observatoriums erhalten – eines der besonderen Art. Denn im Gegensatz zu vielen anderen besteht „IceCube“ nicht aus einem großen Tank voller Flüssigkeit. Stattdessen nutzt das Observatorium das klare Eis der Antarktis als Neutrinofalle.
Verteilt über die Fläche von einem Quadratkilometer haben Forscher mehr als 80 Kabel mit jeweils 60 kugelförmigen Sensoren im Eis unter dem Südpol versenkt. Jedes dieser insgesamt 5.160 basketballgroßen optischen Module ist darauf geeicht, die winzigen Lichtblitze zu registrieren, die entstehen, wenn ein Neutrino mit einem der Atombausteine des Eises kollidiert. Im Gegensatz zu den Detektoren von Daya Bay in China ist IceCube dabei auf die Myon-Neutrinos und ihre Zerfallsprodukte spezialisiert.
„Die große Präzision von IceCube und seine Größe ermöglichen es uns, genau zu bestimmen, woher ein Neutrino kommt – oft bis auf weniger als ein Grad genau“, erklärt Lisa Gerhardt vom Lawrence Berkeley National Laboratory, eine der am Projekt beteiligten Forscherinnen. Und genau das nutzten die Forscher bei ihrer Suche nach den kosmischen Neutrinoquellen. Sie verglichen die Positionen von 307 Gammastrahlenausbrüchen, die sich in den Jahren 2008 und 2009 ereigneten, mit den im gleichen Zeitraum aufgezeichneten Neutrinospuren der IceCube-Daten.
Kandidat GRB fällt durch
„Nach gängiger Theorie haben wir erwartet, 8,4 Ereignisse innerhalb der ersten Sekunden oder Minuten eines Gammastrahlenausbruchs zu finden“, sagt Spencer Klein vom Berkeley Lab, ebenfalls Mitglied der IceCube-Kollaboration. „Aber wir fanden keine. Das deutet darauf hin, dass die Gammastrahlenausbrüche nicht die Quelle der kosmischen Strahlung sind.“ Die Forscher konnten keine Hinweise auf einen Zusammenhang von diesen Ausbrüchen und den energiereichen Teilchenströmen finden – und legten damit erfolgreich 15 Jahre des Vermutens ad acta.
Damit haben die Astronomen zwar noch nicht eindeutig herausgefunden, woher die kosmische Strahlung kommt. Aber einen der führenden Kandidaten hat IceCube schon mal aus dem Rennen geworfen. Als nächstes stehen nun die Schwarzen Löcher im Herzen aktiver Galaxien auf dem Prüfstand. „Sie sind gewaltige Beschleuniger, die die Teilchen ohne große Verluste auf sehr hohe Energien bringen können“, erklärt Klein. Ob diese Teilchen dann auch tatsächlich die Erde erreichen, soll IceCube in Zukunft zeigen.
Nadja Podbregar
Stand: 11.05.2012