Zoologie

Nützlich und ausgenutzt

Ratten im Dienste des Menschen

Ob wir Ratten nun eklig, süß oder faszinierend finden, ist zumindest einem weitestgehend egal: der Forschung. Ratten sind direkt nach Mäusen die häufigsten Teilnehmer von Tierversuchen. Nach  Angaben des Deutschen Zentrums zum Schutz von Versuchstieren (Bf3R) wurden allein in Deutschland im Jahr 2021 rund 135.000 Ratten für medizinische Experimente „verbraucht“, wie es die Fachleute nennen.

Albino-Laborratte
Jedes Jahr werden in Deutschland hunderttausende Laborratten wie diese Lobund-Wistar benötigt. © Janet Stephens, gemeinfrei

Laborratten aus dem Katalog

Laborratten, die domestizierte Form der Wanderratte, kommen bereits seit rund 200 Jahren in der Forschung zum Einsatz. Dass ausgerechnet sie so beliebte Versuchsobjekte sind, hat verschiedene Gründe. Zum einen vermehren sich Ratten schnell, sind günstig zu halten und zahm, was den Umgang mit ihnen erleichtert. Zum anderen gibt es für viele Gene, die Krankheiten beim Menschen verursachen, auch ein entsprechendes Gen bei Ratten. Das erleichtert die Übertragbarkeit der gewonnenen Erkenntnisse. Da Ratten außerdem sehr neugierig und schlau sind, eignen sie sich auch für Verhaltensexperimente.

Wenn Wissenschaftler an Ratten forschen, überlassen sie nichts dem Zufall. Das Erbgut der in Versuchen eingesetzten Tiere ist oft speziell auf das für sie vorgesehene Einsatzgebiet zugeschnitten. Mithilfe von Genmanipulationen sind bereits über 100 verschiedene Stämme von Laborratten entstanden, die Namen wie „Wistar-Unilever“, „Long Evans“ oder „Fischer-344“ tragen und je nach Projekt wie aus einem Katalog ausgesucht werden können. Manche Stämme eignen sich zum Beispiel besser für die Krebsforschung, andere für Verhaltenstests.

Laborratte im Experiment
An dieser betäubten Laborratte wird gerade zur Funktionsweise des Ischias-Nervs geforscht. © Kolotylo Michael/ CC-by-sa 4.0

Vielfältige Einsatzgebiete

Ratten kommen in verschiedenen Forschungsbereichen zum Einsatz. Im Zuge der Grundlagenforschung untersuchen Wissenschaftler anhand der Nager zum Beispiel, wie Sinnesorgane oder das Immunsystem funktionieren. Die Industrieforschung wiederum will mithilfe der Ratten herausfinden, ob Chemikalien, die sie neuen Produkten beimischen will, potenziell giftig oder krebserregend sind. Indem Firmen beobachten, wie die Nager auf die Stoffe reagieren, können sie ableiten, ob sie auch für den menschlichen Gebrauch geeignet sind.

In besonderer Weise profitiert auch die medizinische Forschung von Experimenten an Ratten und anderen Nagetieren. Indem Forschende bei den Ratten menschliche Krankheiten wie Krebs oder Parkinson auslösen, können sie mehr über Mechanismen und Verlauf der Krankheiten erfahren und dadurch geeignete Heilmittel finden. Und das mitunter recht erfolgreich: „Ratten waren wertvoll für die Erforschung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, der Nervenregeneration, Diabetes und der Wundheilung“, berichtet die Allianz der Wissenschaftsorganisationen.

An Ratten lässt sich auch herausfinden, wie und ob die entwickelten Medikamente wirken beziehungsweise welche Nebenwirkungen sie auslösen. Das gilt auch für Mittel, die Menschen mit psychischen Problemen wie Depressionen helfen sollen.

Gibt es Alternativen?

Doch Tierversuche stehen immer wieder in der Kritik. „In legalen, teils gesetzlich vorgeschriebenen Experimenten werden Tiere vergiftet oder Stress und schädlicher Strahlung ausgesetzt. Sie werden mit Krankheiten infiziert, ihre Organe werden geschädigt, sie werden verstümmelt und auf weitere unvorstellbar grausame Weise gequält“, schreibt etwa die Tierschutzorganisation Peta (People for the Ethical Treatment of Animals). Sie zieht daher das Fazit: „Tierversuche sind unzuverlässig, grausam und verschwenden Steuergelder.“

So wie viele andere Organisationen stellt Peta außerdem die Übertragbarkeit der Erkenntnisse auf den Menschen und somit den Sinn der Experimente in Frage. „Der Mensch ist keine 70 Kilogramm schwere Maus“, argumentiert Peta und betont, dass Testergebnisse manchmal nicht einmal von Ratten auf Mäuse übertragbar seien. Die Organisation fordert daher, verstärkt auf Alternativen zum Tierversuch zu setzen.

Dafür in Frage kämen zum Beispiel Experimente an Zellkulturen beziehungsweise an speziellen Biochips, die das Organsystem des Menschen künstlich nachbilden. Auch Computer-Simulationen können in einigen Bereichen den Versuch am Tier ersetzen. Doch trotz des Zuwachses an Alternativmethoden ist ein völliger Verzicht auf Tierversuche noch nicht absehbar, wie die Allianz der Wissenschaftsorganisationen erklärt. Immerhin verbietet das deutsche Tierschutzgesetz Tierversuche immer dann, wenn diese durch eine geeignete Alternativen ersetzt werden können.

Trainierte Riesenhamsterratte
Riesenhamsterratten wie diese lassen sich darauf trainieren, Tuberkulose und Sprengstoff zu erschnüffeln. © APOPO

Schnuppernde Helfer des Menschen

Ratten können uns Menschen aber auch außerhalb von Medikamententests große Dienste erweisen, und zwar mit ihrer feinen Nase. So hat ein Experiment gezeigt, dass speziell trainierte Ratten Tuberkulose bei Kindern erschnüffeln können, und zwar zuverlässiger als gängige Tests mittels Abstrich und Mikroskop. Gerade in Entwicklungsländern, in denen es bislang an verlässlichen Diagnosemethoden mangelt, könnten Ratten künftig dabei helfen, das Leben vieler Kinder zu retten.

In anderen Teilen der Welt arbeiten Ratten auch heute schon als heldenhafte Retter. Ihre Nase lässt sich nämlich ebenso darauf trainieren, den Sprengstoff von vergrabenen Landminen zu erschnuppern. Unter anderem in Mosambik und Kambodscha suchen „diensthabende“ Riesenhamsterratten in nur einer halben Stunde tennisplatzgroße Gebiete nach Landminen ab. Finden sie eine, zeigen sie das durch Scharren in der Erde an. Der große Vorteil: Anders als Hunde sind Ratten zu leicht, um die Minen selbst auszulösen, und sind daher bei ihrer Arbeit sicher.

Die Beispiele zeigen: Selbst wenn wir Ratten trotz ihrer liebenswerten Seiten weiterhin als eklig empfinden, sollten wir ihnen immerhin dankbar sein für ihre zahlreichen aufopferungsvollen Dienste zum menschlichen Wohl.

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Ratten
Gefährliche Plagegeister oder schlaue Hausgenossen?

Unsere verborgenen Mitbewohner
Wie Ratten sich die Städte mit uns teilen

Dem Rattenhass auf der Spur
Von Pest, Ausrottung und Ekel

Liebenswerte Nager
Ratten sind sozial, schlau und einfühlsam

Nützlich und ausgenutzt
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