„Wir sind an einem Punkt angekommen, der ähnlich erschreckend ist wie die prä-antibiotische Ära: Für Patienten, die mit einem multiresistenten Bakterium infiziert sind, gibt es keine magische Kugel mehr“, erklärt Cesar Arias, Professor für Medizin an der Universität von Texas im renommierten „New England Journal of Medicine“ (NEJM). Aber wie konnte es dazu kommen? Wie haben die Bakterien es geschafft, so immun zu werden?
Die einfachste – und auch unkritischste – Form ist die primäre, von Natur aus vorhandene Unempfindlichkeit einiger Mikroorganismen. So besitzen die beiden großen Gruppen der Bakterien, grampositive und gramnegative, eine verschieden aufgebaute Zellwand. Erstere sind von einer dicken äußeren Wand umhüllt, während letztere über der dünneren Zellwand noch eine äußere Hülle tragen. Dadurch reagieren sie nicht nur unterschiedlich auf die so genannte „Gram-Färbung“, sondern auch auf Antibiotika. Der gramnegative Darmkeim Escherischia coli ist deshalb beispielsweise von vornherein gegenüber dem Wirkstoff Penicillin unempfindlich.
Eine Frage von Anpassung und Selektion
Ein weitaus größeres und komplexeres Problem sind die erworbenen Resistenzen, Unempfindlichkeiten, die sich erst im Laufe der Zeit bei den Bakterien entwickeln. Eigentlich ist dieser Prozess nichts anderes als der normale Verlauf der Evolution: Jeder Organismus lebt in einer sich verändernden Umwelt, wer sich an diese Veränderungen am besten anpassen kann, überlebt. Er pflanzt sich fort und erzeugt damit mehr angepasste Nachkommen.
Diese Abfolge von Anpassung und Selektion läuft seit Jahrmillionen ab, auch zwischen Mensch und Mikrobe. Denn langfristig haben nur die Krankheitserreger überlebt, die unser Immunsystem austricksen und sich innerhalb der menschlichen Population halten und ausbreiten konnten. Gleichzeitig musste auch die Immunabwehr unseres Körpers „aufrüsten“, um ein Überleben unserer Art trotz gefährlicher Infektionen zu ermöglichen.
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Wettrüsten mit Nebenwirkungen
Mit der Entdeckung der Antibiotika hatte der Mensch plötzlich in diesem „Wettrüsten“ der Evolution die Nase weit vorn. Aber eben nicht weit genug, um nicht auch hier von den Bakterien eingeholt werden zu können. Und den Schlüssel zum Erfolg dieser Aufholjagd haben wir den Mikroben gleich mit in die Hand gegeben: den immer exzessiveren Einsatz der Antibiotika.
„Leider sind diese magischen Kugeln für viele Ärzte heute nicht mehr als ein paar Zeilen auf einem Rezeptformular, das sie ausfüllen um die Wünsche des Patienten zu erfüllen und um zu zeigen, dass sie echte Heiler sind“, kritisiert Pentti Huovinen, Professor für bakterielle und entzündliche Erkrankungen am nationalen Institut für öffentliche Gesundheit in Finnland die gängige Praxis. „In evolutionärer Hinsicht bewirkt dieser Kontakt mit Antibiotika einen Selektionsdruck auf die Bakterienpopulationen. Er gibt Bakterien mit vorteilhaften Eigenschaften, wie beispielsweise einer Resistenz, einen Konkurrenzvorteil gegenüber Artgenossen.“
Von eins auf eine Milliarde in drei Stunden
Und der Schritt hin zu einer solchen Resistenz ist sehr klein: Oft kann schon die Veränderung eines einzigen Gens durch eine Mutation ausreichen, um beispielsweise eine vom Antibiotikum benötigte Andockstruktur so zu verändern, dass es wirkungslos wird. Experten schätzen, dass im Durchschnitt einer unter einer Milliarde Keimen eine resistenzbildende Mutation entwickelt, wenn bei einer Infektion Antibiotika gegeben werden. Das erscheint erst mal nicht viel.
Doch Bakterien vermehren sich schnell: Sie teilen sich im Mittel alle zwanzig Minuten und verdoppeln damit ihre Zellzahl. Wenn daher nur eine einzige Zelle ein resistentes Gen entwickelt, tragen es zwei Stunden später schon eine Million Nachkommen, drei Stunden später gibt es bereits eine Milliarde resistenter Zellen, vier Stunden später schon eine Billion. Springt nur eines dieser resistenten Bakterien auf einen anderen Menschen über, ist der Weg frei zu einer fast ungehinderten Verbreitung dieser Resistenz.
Wie schnell die evolutionäre Anpassung der Bakterien abläuft, zeigt das Auftreten der ersten Fälle von Penicillin-resistenten Bakterien der Art Staphylococcus aureus bereits im Jahr 1946, kurz nach Einführung des Medikaments auf dem breiten Markt. Schon wenige Jahre später meldeten britische Krankenhäuser für S. aureus schon eine Resistenzrate von fast 50 Prozent.
„Es ist schwer Organismen auszutricksen, die einige Milliarden Jahre lang Zeit hatten zu lernen, wie man sich an feindliche Umwelten anpasst“, erklärt CDC-Resistenzexperte Fred Tenover. „Bakterien sind die Champions der Evolution und ein paar von ihnen haben sich bis zu einem Punkt angepasst, an dem sie ernsthafte klinische Herausforderungen für den Menschen darstellen.“
Nadja Podbregar
Stand: 17.09.2010