Noch vor gut 100.000 Jahren war die Welt fein säuberlich unter mehreren Menschenarten aufgeteilt: In Europa und Westasien lebte der Neandertaler und trotzte dort den Unbilden und Klimaumschwüngen des Eiszeitalters. In Fernost hielten sich die Nachkommen des dortigen Homo erectus, unter ihnen auch der kleinwüchsige Homo floresiensis. Und in Afrika dominierte unsere Spezies – der Homo sapiens.
Das große Aussterben
Doch dann kam der große Wandel. Auf der Insel Flores starben die Hobbit-Menschen aus und auch im Rest Asiens verschwanden die letzten Vertreter des Homo erectus. Sie wurden abgelöst von neu einwandernden Gruppen des Homo sapiens. Dieser zog über den Nahen Osten und wahrscheinlich auch auf einer Route über das Horn von Afrika und den Süden Arabiens immer weiter nach Osten, bis er vor rund 60.000 Jahren auch Australien erreichte.
In Europa und Westasien kämpfte währenddessen der Neandertaler ums Überleben. Nachdem unser eiszeitlicher Vetter mehr als 250.000 Jahre lang die Klimakapriolen des Pleistozäns überstanden hatte, begannen seine Populationen nun zu schrumpfen. Er verschwand erst aus dem Nahen Osten und Westasien, dann nach und nach auch aus Nord- und Mitteleuropa. Vor rund 40.000 Jahren war von der einst so erfolgreichen Menschenart nur noch ein kläglicher Rest im Süden Spaniens übrig. Wenig später starben auch die letzten Neandertaler aus.
Krone der Schöpfung?
Von allen Vertretern der Gattung Homo hat damit nur eine einzige Art bis heute überlebt: der Homo sapiens – unsere Spezies. Aber warum? Entgegen früheren Annahmen haben wir uns nicht als „Krone der Schöpfung“ aus nur einer Vorgängerart entwickelt, sondern waren lange Zeit nur einer von vielen erfolgreichen Vertretern unserer Gattung. Vor 300.000 Jahren hätte vermutlich niemand vorhersagen können, dass ausgerechnet der Homo sapiens seine Vettern übertrumpfen und überleben würde.
Was aber hatten unsere Vorfahren, dass die anderen Menschenarten nicht hatten? Waren sie ihnen wirklich so haushoch überlegen, wie man lange vermutet hat? Eher nicht. Gerade in den letzten Jahren haben Anthropologen mehr und mehr Belege dafür aufgedeckt, dass beispielsweise der Neandertaler unseren Vorfahren in vielem ebenbürtig war. Wie sie fertigte er bereits spezialisierte Werkzeuge und beherrschte das Feuermachen. Er schuf Schmuckstücke und hinterließ Malereien und eingeritzte Zeichen in Höhlenwänden, was von seiner Fähigkeit zu abstraktem Denken und symbolischen Handeln zeugt.
Folgenreiche Seitensprünge
Rätselhaft auch: Homo sapiens und seine Verwandten waren sich immerhin so ähnlich, dass es häufig zu zwischenartlichen“ Seitensprüngen“ kam. In Europa und dem Nahen Osten hatten beispielsweise Neandertalerfrauen Sex mit Homo sapiens-Männern und umgekehrt. Das Erbe dieser Kreuzungen tragen wir Europäer bis heute in uns, wie DNA-Studien belegen. Rund zwei Prozent unserer Gene stammen von den Neandertalern, darunter Gene für das Immunsystem, den Fettabbau und unsere helle Hautfarbe. Aber auch andere Menschenarten wie die Denisova-Menschen haben zu unserer heutigen Genmischung beigetragen.
Wie damals die Begegnungen zwischen unseren Vorfahren und ihren Verwandten abliefen, können wir heute nur vermuten: Konnten sich beide Arten verständigen? Tauschten sie Waren aus oder lernten Fertigkeiten voneinander? Bildeten sie vielleicht sogar gemischte Gruppen? Oder blieben sie für sich und führten stattdessen Krieg gegeneinander? Und schließlich die entscheidende Frage: Warum hat sich ausgerechnet unsere Art gegen ihre Zeitgenossen und Rivalen durchgesetzt?
Nadja Podbregar
Stand: 14.09.2018