Noch während sich Sergej Koroljow und seine Mitarbeiter vornehmlich um die Fortentwicklung der deutschen A-4 kümmern, brütet in einem anderen sowjetischen Forschungszentrum ein Wissenschaftler bereits über dem übernächsten Schritt. Michail Tichonrawow, bereits vor dem Krieg Entwickler des ersten zweitstufigen Raketenantriebs der Sowjetunion, will nicht nur Sprengköpfe, sondern in Zukunft auch Menschen mit Raketen transportieren – und dies nicht nur interkontinental, sondern über die Erde hinaus, in den Weltraum.

In der „Nase“ einer leistungsstarken, mehrstufigen Trägerrakete untergebracht, so sein Plan, könnten zwei Kosmonauten in den Orbit gelangen und in einer speziellen Landekapsel wieder zurück zur Erdoberfläche befördert werden. Dafür müsste die Kapsel mit Lebenserhaltungssystemen, Manövrierdüsen für kleinere Flugbahnkorrekturen, einem Absprengmechanismus für ausgebrannte Brennstufen und nicht mehr benötigte Module, einem Hitzeschild und Fallschirmen für die Landung ausgerüstet sein.
„Wir müssen reden…“
In einem Vortrag Anfang 1948 argumentiert Tichonrawow begeistert und in seinen Augen überzeugend dafür, Trägerraketen zu entwickeln, die die Erdumlaufbahn erreichen und so Satelliten oder sogar Menschen hinaufbefördern können. Die dafür benötigten extremen Höhen und Geschwindigkeiten seien technologisch absolut machbar. Doch sein Publikum aus Parteifunktionären und Militärangehörigen mehrerer Institute reagiert mit eisigem Schweigen auf seine Ausführungen.
„Das Institut hat offenbar nicht genügend zu tun gehabt und sich daher entschlossen, in das Reich der Fantasie zu wechseln“, soll ein hochrangiger Offizier gesagt haben. Denn das Militär will von Tichonrawow vorerst nur eins: leistungsfähige Mehrstufen-Triebwerke, die Langstreckenraketen noch weiter fliegen lassen und Navigationsinstrumente, die die Zielgenauigkeit verbessern.