Die weiten, schlammigen Ebenen der Tiefsee gelten gemeinhin eher als „Wüsten“ der Artenvielfalt. Zwar lebt dort unten, tausende Meter unter der Oberfläche, noch immer weitaus mehr als lange angenommen, dennoch bietet die eher eintönige Umwelt Meerestieren nur wenige ökologische Nischen. Umso reicher aber sind die Seamounts bestückt – sie bilden sozusagen Oasen in der kargen Tiefsee.
Jede Menge Mikrohabitate
„Seamounts sind eine wahre Explosion des Lebens, sowohl im Wasser über ihnen als auch in den benthischen Habitaten“, erklärt der Meeresbiologe Peter Etnoyer von der US-Meeresforschungsbehörde NOAA. Ähnlich wie eine Insel im Ozean bieten sie Tieren und anderen Organismen eine im Vergleich zum offenen Wasser oder dem flachen Meeresgrund reich strukturierte Umgebung mit vielen verschiedenen Mikrohabitaten.
Hinzu kommt, dass die hochaufragenden Berge aufgrund ihrer Form günstige Bedingungen für viele Lebewesen schaffen: Die steilen, teilweise zerklüfteten Hänge verändern die Wasserströmungen und beschleunigen sie teilweise. Dadurch werden Nährstoffe an den Hängen vorbeigespült oder steigen an ihnen auf. Für Korallen, Fische, Krebse und andere Bewohner ist daher der Tisch vergleichsweise reicher gedeckt als in den umgebenden Tiefsee-Ebenen.
Bizarr-schöne Bewohner
Zu den typischen Bewohnern von Seamounts gehören Weichkorallen, entfernte Verwandte der riffbildenden Steinkorallen. Im Gegensatz zu diesen produzieren sie kein umfangreiches Kalkskelett, sondern lagern nur winzige Kalknadeln ins Körpergewebe ein. Sie sind zudem weniger abhängig vom Licht, weil sie einen Großteil ihres Energiebedarfs durch vorbeischwimmende organische Partikel oder Zooplankton decken.
Auf den Seamounts können die Weichkorallen eine enorme Vielfalt der Arten, Größen und Formen zeigen. Die Spanne reicht von kleinen, bis zu 20 Zentimeter großen Fächern über rund einen Meter hohe „Büsche“ bis hin zu fünf Meter hohen Stängeln mit zarten bambusartigen Verzweigungen. Auf einem Seamount vor Hawaii stießen Meeresbiologen auf ein sieben Meter hohes Exemplar der Art Iridogorgia magnispiralis – und damit die größte jemals entdeckte Weichkoralle.
Skurrile Kooperationen
Ebenfalls oft auf Seamounts zu finden sind Glasschwämme. Im Gegensatz zu normalen Schwämmen produzieren diese Tiefseebewohner ein extrem stabiles, aber feines Skelett aus glasartigem Siliziumdioxid. Eine komplexe Schichtung der Fasern sorgt dafür, dass dieses Bioglas bei einigen Arten nahezu unzerbrechlich ist. Zudem können einige dieser Schwämme tausende von Jahren alt werden.
Die Schwämme und Korallen an den Hängen der Seamounts bilden selbst wiederum ein Habitat für weitere Tiere. So gibt es eine Art von Schlangenseesternen, die ihr gesamtes Leben auf „ihrer“ Weichkoralle sitzend verbringen – und ihr Revier gegen jeden anderen Seestern verteidigen. Ein Meereswurm bringt „seine“ Koralle sogar dazu, ihr Wachstum so anzupassen, dass ihre Zweige einen Tunnel bilden, in dem er dann geschützt hausen kann.
„Noch immer weitgehend unbekannt“
Noch ist erst ein winziger Teil der spannenden Lebenswelt der Seamounts erkundet. Denn bisher wurden erst 250 dieser Unterseeberge von Tauchrobotern besucht – und selbst diese Proben lieferten nur Ausschnitte der wimmelnden Vielfalt dieses Tiefseehabitats. „Das ist ein wenig so, als wolle man ein Monet-Gemälde nur auf Basis von drei Haaren aus seinem Pinsel beschreiben“, sagt Etnoyer.
Selbst wenn man ein ganzes Jahr lang jeden Tag zu einem der großen Seamounts hinabtauchen würde, wäre die Bestandaufnahme noch lange nicht vollständig. „Die Seamounts sind ein enorm großes und noch weitgehend unbekanntes Habitat“, so der Meeresbiologe. Die geheimnisvollen Unterwasser-Berge gehören damit zu den letzten weißen Flecken unseres Planeten.
Nadja Podbregar
Stand: 26.08.2016