Die Reaktionen auf die CERN-Präsentation und das begleitende Paper sind gemischt – auch unter Physikern. „Ich wäre entzückt, wenn das wahr wäre“, kommentiert V. Alan Kostelecky, ein theoretischer Physiker der Indiana University in Bloomington im Science Magazine. Er vermute aber, dass die Mehrheit der wissenschaftlichen Gemeinschaft das Ergebnis nicht voll akzeptierte, solange es nicht durch weitere Experimente reproduziert werden könne.

Chang Kee Jung, Neutrinoforscher an der Stony Brook University in New York, geht noch einen Schritt weiter: „Ich würde zwar nicht meine Frau und meine Kinder verwetten, weil sie dann böse wären, aber ich würde mein Haus darauf setzen, dass dies das Produkt eines systematischen Fehlers ist.“ Am wahrscheinlichsten hält der Physiker einen Fehler bei der Zeitmessung. Das genaue Timing sei abhängig vom GPS-System – und das habe normalerweise einen Unsicherheitsfaktor von weit mehr als zehn Nanosekunden. Ihm sei daher unklar, wie die CERN- und OPERA-Forscher diese Fehlerspannbreite auf nur zehn Nanosekunden eindampfen konnten.
Falscher Zeitstempel und loses Kabel
Im Februar 2012 tritt das CERN wieder an die Öffentlichkeit – diesmal allerdings deutlich kleinlauter. Man habe doch noch zwei Störeffekte gefunden, durch die die Messungen der Neutrino-Geschwindigkeit verfälscht worden sein könnten. Der erste Störeffekt könnte von einem Oszillator ausgegangen sein. Dieses Gerät liefert die ultrapräzisen Zeitstempel für die Synchronisation der GPS-Messungen. Wäre das der Fall, könnten die Messungen die Geschwindigkeit der Neutrinos sogar noch unterschätzt haben – dann wären die Teilchen auf ihrer Rennstrecke durch den Alpenfels noch weiter über die Lichtgeschwindigkeit hinaus geschossen. Diese Möglichkeit halten allerdings weder die CERN-Physiker selbst noch die weltweite Forschergemeinschaft für sehr plausibel.

Der zweite mögliche Lapsus, den die CERN-Forscher einräumen, ist eine fehleranfällige Glasfaserverbindung zwischen dem GPS-Modul und der Hauptuhr des Detektors. Diese Leitung könnte nicht korrekt funktioniert haben, als die Messungen gemacht wurden, heißt es. Die vermeintliche Sensation wäre damit sofort zunichte gemacht – denn dann hätten die Neutrinos allenfalls knapp Lichtgeschwindigkeit erreicht, aber keinesfalls diese magische Grenze überschritten.