All Arbeiten an einem „künstliche Gehirn“ müssen interdisziplinär erfolgen: Physiker wissen „von Haus aus“ nur wenig von der Neurobiologie, Informatikern ist die analoge Mikroelektronik eher fremd und Neurowissenschaftler haben üblicherweise kaum etwas mit dem Bau großer elektronischer Systeme zu tun. Die Europäische Union hat deshalb das Förderprogramm „Future Emerging Technologies“ aufgelegt, in dem grundlegend neue Prinzipien der Informationsverarbeitung interdisziplinär entwickelt werden sollen. „Quanteninformation“ und „biologisch inspirierte Systeme“ sind zwei Beispiele für Förderprojekte, an denen Heidelberger Gruppen beteiligt sind.
Die Arbeitsgruppe des Kirchhoff-Instituts koordiniert in diesem Rahmen das so genannte FACETS-Projekt, wobei FACETS für „Fast Analog Computing with Emergent Transient States“ steht. Fünfzehn europäische Gruppen aus den Bereichen Neurobiologie, Informatik, Physik und Elektrotechnik werden in diesem Projekt mit rund zehn Millionen Euro für vier Jahre gefördert. Nähere Informationen finden sich im Internet unter www.facets-project.org.
Künstliche Nervenzellen in konventionellem Rahmen
Worum soll es bei diesem Projekt konkret gehen? Es gilt zunächst, ein synthetisches neuronales Netzwerk nach dem beschriebenen elektronischen Prinzip zu bauen. In einer ersten Entwicklungsstufe werden dazu viele individuelle, fünf mal fünf Millimeter große Netzwerkchips zu einem „Neurocomputer“ kombiniert, der mit etwa einhunderttausend künstlichen Nervenzellen und 25 Millionen Synapsen einem Volumen des menschlichen Kortex von ungefähr einem Kubikmillimeter entspricht.
Dieses System ist in mechanische Rahmen eingebaut, deren Erscheinungsbild noch sehr an konventionelle Computer erinnert. Die künstlichen Nervenzellen in diesem System ähneln aber bereits stark dem biologischen Vorbild und beherrschen verschiedene Mechanismen der Plastizität. Ein Prototyp-Chip ist bereits funktionsfähig und hilft uns, vorbereitende Experimente durchzuführen. So konnten beispielsweise schon die Plastizität und das charakteristische Verhalten der neuronalen Membranspannung experimentell nachgewiesen werden.
Silizium als Substrat für „Kunsthirn“
In der zweiten Entwicklungsstufe soll der in Computern übliche Ansatz des Verschaltens individueller Mikrochips zugunsten eines großen, fast uniformen Siliziumsubstrats aufgegeben werden. Eine zwanzig Zentimeter große Siliziumscheibe wird etwa eine halbe Million künstlicher Nervenzellen und eine Milliarde Synapsen beherbergen, die mithilfe 180 Nanometer großer Strukturen (Transistoren) aufgebaut werden. Oberhalb dieser Siliziumscheibe ist eine elektronische Schaltung montiert, die dazu dient, das Netzwerk zu konfigurieren, die Aktivität des Netzwerks zu analysieren und weit reichende Verbindungen im Netzwerk zu realisieren.
Karlheinz Meier / Universität Heidelberg / Ruperto Carola
Stand: 31.10.2008