„Eine Gesellschaft, in der wir noch überarbeiteter und von der Technologie getriebener sind als jetzt schon und in der wir Drogen nehmen müssen, um mitzuhalten; eine Gesellschaft, in der wir Kindern akademische Steroide zusammen mit ihren täglichen Vitaminen verabreichen“, so charakterisiert die Journalistin Margaret Talbot vom „New Yorker“ eine mögliche Zukunft mit frei verfügbaren Neuro-Enhancern. Tatsächlich gibt es schon jetzt nicht wenige Eltern, die ihren Nachwuchs bereitwillig mit mehr als nur frühkindlichen Chinesisch-Kursen oder Ballettunterricht auf Erfolg trimmen würden.
Ritalin für den unkonzentrierten Sohn
Der amerikanische Psychiater Paul McHugh berichtet in einem Artikel, dass mindestens einmal im Jahr Eltern bei ihm in der Praxis sitzen, deren Sohn in der Schule unkonzentriert ist und nicht so gut abschneidet wie erhofft. Oft bitten sie ihn, dem Kind eine entsprechende Medikation – gemeint ist meist Ritalin – zu verschreiben, die ihn konzentrierter und aufmerksamer macht. „Die Wahrheit ist, dass der Sohn einfach nicht den überragenden IQ seiner Eltern hat“, erklärt McHugh. Was nicht bedeutet, dass dem Jungen etwas fehlt oder er nicht genügend andere Qualitäten hätte. Der Psychiater versucht dann, die Eltern davon abzubringen, „ihn mit Medikamenten oder irgendetwas anderem an ihre ehrgeizigen Ziele anzupassen.“
Bildungsbürgertum besonders anfällig?
Dass dies kein Einzelfall ist, zeigte eine Studie schon im Jahr 1996: In ihr hatten amerikanische Forscher die aus epidemiologischen Studien hervorgehende durchschnittliche Häufigkeit von ADHS bei Kindern mit den Verschreibungen von ADHS-Medikamenten wie Ritalin oder Adderall in verschiedenen Gebieten verglichen. Dabei zeigten sich besonders in einigen Schulbezirken – meist in Wohngebieten eher bessergestellter Familien – deutliche Diskrepanzen zwischen beiden. Es wurden dort offenbar deutlich mehr Kinder als krank eingestuft und medikamentiert, als im Durchschnitt. Als treibende Kraft vermuteten die Wissenschaftler ehrgeizige Eltern oder aber Lehrer, die mehr Ruhe in ihrem Klassenraum wollen.
Aber wie hoch ist der Anteil der Eltern, die bereit wären, ihren Kindern auch dann Medikamente zu verabreichen, wenn dies nicht deren Heilung oder Behandlung dient, sondern dem Bestehen in einer wettbewerbsorientierten Umwelt? Einen Hinweis darauf gab 2008 eine Umfrage der Zeitschrift „Nature“ auf die 1.400 Leser – die meisten von ihnen selbst Wissenschaftler – antworteten. Immerhin rund ein Drittel der Befragten verspürte den Druck, auch ihre eigenen Kinder mit „smart drugs“ zu dopen, wenn sie wüssten, dass andere Eltern dies auch täten.