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Neben der Schleppnetzfischerei droht den Kaltwasserkorallen noch eine weitere Gefahr: die zunehmende Versauerung der Weltmeere. So kommt eine jüngst veröffentlichte Studie in der Fachzeitschrift „Frontiers in Ecology and the Environment“ zu dem Ergebnis, dass sich der ozeanische pH-Wert seit der industriellen Revolution um 0,1 Einheiten abgesenkt hat – Tendenz weiter sinkend. Schuld hieran ist der zunehmende Eintrag von CO2 aus der Luft in das Meerwasser. Umgerechnet zieht der Ozean gegenwärtig jedes Jahr eine Tonne CO2 für jeden auf der Erde lebenden Menschen aus der Atmosphäre. Doch wieso hat dies so verheerende Auswirkungen auf das Ökosystem Ozean und speziell die Kaltwasserkorallen?
Chemische Auflösung
Der sinkende pH-Wert senkt die natürliche Karbonatsättigung des Meerwassers – es wird sauer. Je saurer das Milieu, desto mehr Kalziumkarbonat – das Baumaterial der Korallenriffe – wird gelöst. Im schlimmsten Fall lösen sich somit die Kaltwasserriffe der Steinkorallen einfach auf. Auch anderen Meereslebewesen wie Muscheln, Seeigeln oder Seesternen wird der höhere Säuregrad wahrscheinlich zu schaffen machen. Ihnen fällt es durch die Versauerung schwer, ihre harten Skelette und Schalen aus Kalziumkarbonat zu formen und zu erhalten. Sie wachsen dadurch langsamer und sind leichter zerbrechlich.
Ähnlich der Osteoporose beim Menschen vollzieht sich dieser Prozess zunächst schleichend und unmerklich. Besonders kritisch ist die Lage jedoch für Organismen, deren Skelett wie bei den Steinkorallen aus dem leicht löslichen Aragonit besteht. Der Studie zufolge werden sich im Jahr 2099 rund 70 Prozent der heute bekannten Riffvorkommen in einem so sauren Milieu befinden, dass ihr Überleben äußerst fraglich ist. Aber nicht nur die Tiefwasserriffe wären von einer weiteren Versauerung betroffen. So könnten einem Bericht der Royal Society zufolge auch die Korallen an tropischen und subtropischen Riffen wie dem Great Barrier Reef bis zum Jahr 2050 stark dezimiert sein.
Versauerung betrifft auch Menschen
"Wir wissen schlicht und ergreifend nicht", sagt Professor Ulf Riebesell vom Leibniz-Institut für Meereswissenschaften IFM-GEOMAR in Kiel, "ob die Lebewesen in den Meeren – die ja ohnehin schon durch den allgemeinen Klimawandel beeinträchtigt sind – auch noch diese Veränderung verkraften können." Seit Millionen von Jahren hat sich die Chemie der Meere nicht so rasant verändert wie heute.
Riebesell koordiniert den Themenbereich "Treibhauseffekt" im Kieler Forschernetzwerk "Ozean der Zukunft". Seine Arbeitsgruppe am Leibniz-Institut für Meereswissenschaften hat zahlreiche Arbeiten veröffentlicht, die belegen, dass kalkbildende Organismen im Meer durch die zunehmende Versauerung nachhaltig geschädigt werden – seien es Kaltwasserkorallen, Kalkalgen, Seesterne, Schnecken oder Muscheln. Insbesondere die Eier und Larven vieler Meeresbewohner reagieren sehr empfindlich auf die zunehmende Versauerung. Diese hätte aber nicht nur schwerwiegende Folgen für die an und in den Riffen lebenden Tieren. Auch der Mensch ist direkt oder indirekt von den Riffen abhängig – denn entweder benötigt er sie als Nahrungslieferant, als Touristen-Attraktion oder als Schutz der Küsten vor Bedrohungen wie Tsunamis.
Stand: 07.07.2006