Was macht eine Stadt aus? Diese Frage ist nicht so trivial wie sie zunächst klingt. Denn beileibe nicht jede Siedlung, in der viele Menschen zusammenleben, verdient gleich das Etikett Stadt. Stattdessen müssen bestimmte Merkmale vorhanden sein – sowohl in der äußerlichen Form als auch in Bezug auf die Gesellschaft.
Ein Turm und eine große Mauer
Lange Zeit galt Jericho im Westjordanland als älteste Stadt der Welt. Denn hier reichen die Besiedlungsspuren bis zu 12.000 Jahre weit zurück. Etwa um 8.000 vor Christus umfasste diese Siedlung immerhin bereits vier Hektar Fläche. Damals lebten hier bis zu 3.000 Menschen in Lehmziegelhäusern – für diese Zeit schon eine beachtliche Ballung. Ausgrabungen förderten in Jericho zudem die älteste Steintreppe der Welt zutage und den ältesten steinernen Turm.
Sogar eine Art Stadtmauer oder Wall errichteten die Bewohner von Jericho damals um ihre Siedlung. Diese sagenhafte Mauer – oder eher ein Nachfolger von ihr – taucht schon in der Bibel auf: Die Israeliten sollen sie bei der Eroberung Kanaans allein durch den Klang ihrer Posaunen zum Einsturz gebracht haben. Ob es sich bei dem Wall tatsächlich um eine echte Stadtmauer handelte oder doch eher um einen Schutzwall gegen Überschwemmungen, ist allerdings strittig.
Trotzdem nur eine Großsiedlung
Dennoch fehlen Jericho zu dieser Zeit einige wichtige Stadtmerkmale. So gibt es keine Hinweise auf eine interne funktionelle Gliederung des Ortes in Viertel, beispielsweise in Wohn- und Geschäftsviertel oder Tempelbezirke. Jericho war zudem gegenüber dem Umland eher isoliert – es übernahm offensichtlich noch keine Verwaltungsfunktion oder andere öffentlichen Aufgaben als lokales Zentrum.
Auch die Bevölkerung von Jericho war noch nicht typisch städtisch: Die meisten von ihnen erzeugten ihre Nahrung noch selbst und bauten Emmer, Gerste und Hülsenfrüchte an, hielten Vieh in Ställen innerhalb der Siedlung und gingen auf die Jagd. Nach Ansicht von Archäologen war Jericho zu jener Zeit wahrscheinlich nur eine Großsiedlung und noch keine echte Stadt. Erst später, in der frühen Bronzezeit um etwa 2.000 vor Christus, hatte sich Jericho zur Stadt entwickelt.
Nadja Podbregar
Stand: 03.07.2015