Spätestens mit der Geburt beginnt ein Prozess, den wir Sozialisation nennen. Sobald elterliche Erwartungen ins Spiel kommen, wird das Verhalten des Kindes vor dem Hintergrund der Frage interpretiert, ob es sich um einen Jungen oder um ein Mädchen handelt.
Rosa und blau
In unseren Träumen, Hoffnungen und Ängsten spielt das Geschlecht des Kindes schon Monate vor der Geburt eine zentrale Rolle. Denn jede(r) von uns verbindet mit „Frau sein“ oder „Mann sein“ kulturell, geschichtlich und persönlich geprägte Vorstellungen. Über die Namensgebung, die Farbe und Art der Kleidung sowie weitere Äußerlichkeiten markieren wir das Geschlecht unseres Kindes später auch für die Öffentlichkeit, so dass selbst ein Fremder sehen kann, ob es sich um ein Mädchen oder einen Jungen handelt.
Und diese Markierung hat Implikationen. Legt man beispielsweise zwei Gruppen von Versuchsteilnehmern jeweils ein Bild des gleichen Kindes vor – einmal in einem mädchenhaft rosa Strampler und einmal in einem jungenhaft blauen Strampler – wird dasselbe Kind in Mädchenkleidern als kleiner, sanfter und mit feineren Gesichtszügen beschrieben als in Jungenkleidern. Darüber hinaus wurde beobachtet, dass demselben Kind – wenn es zuvor als „Junge“ vorgestellt worden war – mehr männliche Spielzeuge und Aktivitäten angeboten werden.
Unbewusste Wertung
Wie diese Beispiele deutlich machen, ist unser Verhalten gegenüber Mädchen und Jungen längst nicht so geschlechtsneutral, wie wir immer denken. Erst kürzlich hat eine Studie gezeigt, dass Väter beispielsweise mit Töchtern schon im Kleinkindalter unbewusst anders umgehen als mit Söhnen.
Das soll aber nicht heißen, dass nur die Gesellschaft über die psychologische Geschlechtsidentität eines Menschen entscheidet. Nicht selten haben Menschen das Gefühl, „im falschen Körper zu stecken“ – ein Phänomen, das sich kaum erklären lässt, wenn Geschlechtlichkeit ausschließlich ein Produkt von Erziehung und Sozialisation wäre.
Sabina Pauen & Miriam Schneider, Universität Heidelberg/ Ruperto Carola
Stand: 25.08.2017