Die Gravitation ist ein echter Sonderling. Denn sie will einfach nicht in das säuberlich geordnete Standardmodell der Teilchenphysik passen. Klar scheint: Die Gravitation ist definitiv eine der fundamentalen Kräfte im Universum. Gäbe es die Gravitation nicht, würde es weder Sterne noch Planeten im All geben und auch unsere Alltagserfahrungen sähen ziemlich anders aus.
Extrem schwach und doch weltbewegend
Erst die Gravitation sorgt dafür, dass sich Objekte mit einer Masse gegenseitig anziehen – je größer die Massen, desto stärker die Anziehungskraft. Das aber bedeutet auch, dass die Gravitationskraft auf der Ebene der Alltagsobjekte nur sehr schwach wirkt. Rein theoretisch übt unser Körper auf alle umgebenden Objekte eine Anziehungskraft aus. Spüren tun wir davon allerdings nichts. Und selbst die Schwerkraft der Erde können wir durch ein wenig Muskelkraft locker überwinden: Fällt uns ein Buch auf den Boden, heben wir es problemlos wieder auf.
Bei sehr kleinen Massen, wie auf der Ebene der Elementarteilchen, wirkt die Gravitation sogar so schwach, dass sie vernachlässigbar ist. Deshalb taucht die Gravitation in den Berechnungen und Modellen der Teilchenphysiker auch nicht auf – bisher jedenfalls.
Wo steckt das Trägerteilchen?
Das richtig große Problem aber bereitet uns die Gravitation, wenn es um ihr Trägerteilchen geht. Rein theoretisch müsste sie – wie alle anderen Grundkräfte auch – durch ein Eichboson vermittelt werden. Aber wie ein solches Graviton beschaffen sein könnte und ob es wirklich existiert, ist eines der großen Rätsel der modernen Physik.
Einer der Gründe dafür ist die ungewöhnliche Wirkungsweise der Gravitation. Albert Einstein beschrieb in seiner Allgemeinen Relativitätstheorie, dass die Gravitation untrennbar mit der Geometrie der Raumzeit verknüpft ist – und damit mit der Grundmatrix unseres Universums. Die Anziehung zwischen zwei Massen macht sich demnach in einer Krümmung der Raumzeit bemerkbar. Kommt es zu abrupten Veränderungen, beispielsweise bei der Verschmelzung zweier Schwarzer Löcher, löst dies wellenartige Schwingungen der Raumzeit aus – Gravitationswellen.
Das Problem der Quantisierung
So weit, so bekannt. Aber wo in diesem Geschehen bleibt Platz für das Graviton? Rein theoretisch könnte es ähnlich wie beim Elektromagnetismus sein: Die Photonen sind im Prinzip nichts anders als die gequantelten, kleinsten Energieeinheiten der elektromagnetischen Wellen – eine elegante mathematisch beschreibbare Herleitung.
Aber die Gravitation ist keine normale Welle, sie ist die Geometrie der Raumzeit. Will man sie quantisieren, müsste man die Raumzeit selbst in diskrete Grundeinheiten aufteilen. Tatsächlich gibt es Physiker, die davon ausgehen, dass auch die Raumzeit aus Quanten besteht. Nach der Schleifen-Quantengravition ist sie aus einem Spin-Netzwerk aus verbundenen Knotenpunkten aufgebaut – sogenannte Schleifen oder „Loops“. Wo sich in diesen Einheiten das Graviton versteckt, ist jedoch unklar.
Ein Detektor für das Graviton
Könnte man das Graviton vielleicht einfach experimentell nachweisen? Leider stehen die Chancen dafür eher schlecht, einige Physiker halten es sogar schlicht für unmöglich. Einer der Gründe: Die Gravitation ist auf der Ebene der kleinsten Teilchen 10 hoch 36 Mal schwächer als der Elektromagnetismus, entsprechend energiearm muss auch das Graviton sein. Einen Detektor, der dies erspüren kann, müsste daher weit empfindlicher sein als alles, was bislang technisch machbar erscheint.
Hinzu kommt, dass die Gravitons eher dünn gesät sind: Der Physiker Freeman Dyson rechnete vor einigen Jahren aus, dass die Sonne rund 10 hoch 24 Gravitons pro Sekunde abgibt – das sind 1.000 Trilliarden. Das klingt erstmal viel. Doch davon kommt nur ein Bruchteil bei der Erde an. Würde man die gesamte Erde in einen Detektor umwandeln, hätte dieser während der gesamten bisherigen Lebenszeit der Sonne gerade einmal vier Gravitons registriert.
Dyson kommt daher zu dem Schluss: Gravitonen könnten zwar etwas sein, das sich im Prinzip nachweisen lässt. Die Wahrscheinlichkeit, dass dies irgendwann gelingt, ist allerdings verschwindend gering. Das hindert die Physiker aber nicht daran, weiter nach möglichen Wegen zu suchen, um wenigstens indirekt die Existenz dieses Teilchens nachzuweisen.
Nadja Podbregar
Stand: 28.07.2017