Nach wie vor haben viele chronische Schmerzpatienten eine jahrelange Odyssee hinter sich, bis ihre Leiden erkannt und behandelt werden. Und insbesondere Deutschland gilt hier geradezu als Entwicklungsland: Acht bis zehn Jahre dauert es nach Angaben der Deutschen Schmerzliga im Schnitt, bis ein Patient eine wirksame Therapie erhält – wenn er sie überhaupt bekommt.
Ausbildung mangelhaft…
„Die meisten Ärzte haben im Studium nie Patienten mit chronischen Schmerzen gesehen, geschweige denn praktisch gelernt, wie man mit starken Schmerzmitteln umgeht und welche Strategien zu einer komplexen modernen Schmerzbehandlung gehören“, erklärte dazu Klaus Lehmann, Präsident der Deutschen Gesellschaft zum Studium des Schmerzes (DGSS) anlässlich des deutschen Schmerzkongresses im Oktober 2001.
Nach Schätzungen der Deutschen Schmerzliga wären für eine flächendeckende Versorgung mindestens 2.000 mit geschulten Ärzten und Psychologen besetzte schmerztherapeutische Zentren notwendig – und dies allein für die Betreung der rund ein bis zwei Millionen am schwersten betroffenen Patienten. Tatsächlich existieren gerade einmal ein paar hundert Schwerpunktpraxen, Ambulanzen oder spezielle Klinikabteilungen. Der Bedarf ist damit nur zu maximal 15 Prozent gedeckt.
…und Therapie desgleichen?
Aber es hapert in der Schmerztherapie nicht nur am Wissen, auch mit dem Wollen scheint es oft nicht weit her. Als vielversprechende Strategie gegen chronische Schmerzen gelten Mittel, die die Weiterleitung und Verarbeitung des Schmerzes im Zentralnervensystem und die verschiedenen körpereigenen Mechanismen der Schmerzdämpfung beeinflussen. Dabei kann es durchaus sein, dass unterschiedliche Medikamente kombiniert werden müssen, um die volle Wirkung zu erreichen. Die vielversprechendsten Kandidaten sind hier vor allem Opioide – Substanzen, die den körpereigenen Schmerzhemmern verwandt sind und daher an den gleichen Wirkorten ansetzen.
Doch genau hier beginnt das Problem: Morphin und andere Opioide haben traditionsgemäß keinen guten Ruf. Gerade bei deutschen Ärzten herrschen noch immer falsche Vorstellungen und Vorurteile gegenüber diesen Morphiumderivaten. Sie gelten per se als süchtig machend, die Atmung lähmend und das Bewusstsein trübend. Wer sie hochdosiert einsetzt, muss unter Umständen sogar damit rechnen, in den Ruch der aktiven Sterbehilfe zu geraten.
Zwar haben neue Präparate und Behandlungskonzepte diese alten Vorbehalte längst ihrer Basis beraubt, aber ein Umdenken findet bisher nur reichlich langsam statt. Als Folge werden die Opioide trotz ihrer nachweislich guten Wirkung gerade bei starken und anhaltenden Schmerzen einfach nicht verschrieben. Dies geschieht selbst dann, wenn die Patienten dadurch unnötige Qualen erleiden müssen.
Eine Studie der WHO aus dem Jahr 1996 ergab, dass weltweit rund 40 Prozent der Krebspatienten mit starken Schmerzen nicht ausreichend mit Schmerzmitteln versorgt sind. Und dies galt und gilt keineswegs nur für die Entwicklungsländer, im Gegenteil: Gerade Deutschland rangiert mit einem durchschnittlichen pro Kopf-Verbrauch von nur zehn Kilogramm Morphin pro einer Million Einwohner relativ weit abgeschlagen im unteren Drittel der Industrieländer. Nach Berechnungen von Bonner Schmerzforschern wären mindestens 80 Kilogramm nötig, um eine adäquate Versorgung zu gewährleisten.
Stand: 20.02.2004