Um nun mithilfe des Systems den See von seiner tödlichen Last zu befreien, haben sich die Wissenschaftler eine Art natürliches „Perpetuum mobile“ einfallen lassen. Zwar stammt die Initalzündung für den Transport des gasbeladenen Wassers aus mehr als 200 Metern Tiefe zunächst von einer starken Pumpe, dann jedoch sorgt ein selbstantreibendes Prinzip dafür, dass der Wasserstrom nicht mehr zum Erliegen kommt.
Dabei machen sich die Wissenschaftler den Effekt zu Nutze, der auch bei den fatalen Gasexplosionen in der Vergangenheit eine entscheidende Rolle spielte: Wenn das Tiefenwasser mithilfe der Pumpe oberhalb des Sättigungspunktes für CO2 angelangt ist, perlt das Gas aus und dehnt sich aus. Die Mixtur aus CO2 und Flüssigkeit wird dadurch solange weiter Richtung Wasseroberfläche transportiert, bis kein gelöstes Gas mehr im Wasser vorhanden oder das Rohr zu Ende ist.
Der Aufbau der Modellanlage am Lake Nyos dauerte 2001 nur wenige Wochen und war schon am 29. Januar abgeschlossen. Ein Testlauf einen Tag später endete außerordentlich erfolgreich und ließ keinerlei Probleme im Routinebebetrieb befürchten. Etwa zwei Monate später war es dann soweit: Die Operation Seeentgasung konnte beginnen. Seitdem schießt unaufhörlich eine mehr als 40 Meter hohe Fontäne CO2-reichen Tiefenwassers aus dem Rohrende in die Luft und entsorgt das in hohen Dosen gefährliche Gas völlig unproblematisch in die Atmosphäre.
Laut George Kling und Michel Halbwachs reicht schon dieses eine Rohr aus, um fast 40.000 Tonnen bzw. 20 Millionen Kubikmeter CO2 pro Jahr aus dem See zu entfernen – mehr als derzeit über die gashaltigen Quellen in den See gelangt. Um aber das Gas in maximal fünf bis zehn Jahren soweit aus dem See zu entfernen, dass keine Gefahr mehr für Mensch und Tier besteht, wären nach Meinung der beiden Wissenschaftler mindestens vier oder fünf weitere Rohre nötig. Dafür jedoch fehlt es der Regierung in Kamerun am nötigen Kleingeld. Schon die bisherigen Arbeiten waren nur durch massives Sponsoring seitens der USA und Frankreichs finanzierbar.
Begleitende Studien, die die Auswirkungen dieser „Entlüftungen“ des Sees protokollieren, haben bisher kaum negative Folgen ermittelt. Ganz im Gegenteil: Die Schichtung des Sees ist stabil. Die Messungen belegen zudem, dass die Luftqualität über dem See und am Ufer nahezu gleich geblieben ist und die CO2-Konzentration in der ganzen Zeit die kritische Schwelle von 0,05 Prozent nicht einmal überstiegen hat.
Und auch die Umwelt hatte bisher unter den Maßnahmen nicht zu leiden. Außer einer mäßigen Trübung des Wassers durch oxydierendes Eisen, das aus den Tiefen des Sees mit dem Wasser nach oben befördert wird, gibt es nur wenig Spektakuläres zu vermelden. Die ermittelten Zahlen deuten sogar auf eine erhöhte Sauerstoffproduktion im Oberflächenwasser seit Beginn der Entgasung hin. Gewässerkundler begründen dies mit dem hohen Nährstoffanteil des geförderten Tiefenwassers, das die Algenproduktivität ankurbelt.
Stand: 20.04.2003