Wie kann man proteinreiche Nahrung aus dem Meer gewinnen, ohne dabei der Meeresumwelt zu Schaden? Diese Frage untersuchen Wissenschaftler zurzeit im Projekt „Food for the Future“, das die Möglichkeiten neuer mariner Nahrungsmittelressourcen auslotet.
Einen Ansatz dafür bietet die Überlegung, dass es deutlich nachhaltiger wäre, wenn wir als marine Proteinlieferanten Lebewesen nutzen würden, die weiter unten in der Nahrungskette stehen als Raubfische wie Lachs oder Thunfisch. Denn Meeresbewohner dieser tieferen trophischen Ebenen benötigen kein tierisches Futter, sondern fressen Algen oder Plankton und bauen daraus ihr tierisches Eiweiß auf. In ökologischer Hinsicht wäre daher ihre Zucht deutlich effizienter und nachhaltiger.
Krisengewinnler der Ozeane
Holger Kühnhold vom Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT) und seine Kollegen haben dafür ein Tier ins Visier genommen, das bislang als vermehrungsfreudige Plage und nesselnder Urlauberschreck ein eher negatives Image hat – die Qualle. Sie kommt in allen Weltmeeren reichlich vor und gehört zu den ältesten Lebewesen der Erde.
Anders als viele Fische gehören die Quallen zudem zu den Krisengewinnlern der Ozeane: Sie profitieren meist davon, wenn der Mensch durch Fischerei ins Ökosystem Meer eingreift, weil ihnen so Fressfeinde und Nahrungskonkurrenten vom Hals geschafft werden. In einigen Meeresgebieten, darunter Teilen des Schwarzen Meeres und einigen norwegischen Fjorden, sind die Quallen sogar schon zur Plage geworden. Durch ihre Massenvermehrungen vertilgen sie Unmengen an Fischlaich und Fischlarven und dezimieren dadurch deren Bestände noch weiter.
Im Zuge des Klimawandels haben sich viele Quallen zudem neue Lebensräume erschlossen. Auch in Nord- und Ostsee haben sich durch Einschleppung und Erwärmung mehrere ursprünglich nicht bei uns heimische Quallenarten angesiedelt. Vielerorts profitieren die Quallen davon, dass sie als nicht essbar oder zumindest als unappetitlich gelten und daher auch nicht vom Menschen gefangen werden.
Glibbriges Superfood
Das aber muss nicht so bleiben. Quallen könnten durchaus zu einer nützliche Ressource und einer Nahrungsquelle der Zukunft werden, denn sie liefern einiges von dem, was der menschliche Körper benötigt: „Zwar bestehen Quallen zu rund 97 Prozent aus Wasser, ihre Trockenmasse hat aber ein interessantes Nährwertprofil, das dem anderer Meeresfrüchte gleicht“, erklärt Kühnhold. „Quallen sind fettarm und bestehen hauptsächlich aus Eiweiß, das teilweise einen hohen Anteil an essentiellen Aminosäuren aufweist. Sie enthalten außerdem viele Mineralstoffe und mehrfach ungesättigte Fettsäuren.“
Während sich die schleimigen Wesen trotz dieser Vorzüge bei uns eher geringer Beliebtheit erfreuen, gelten sie in Asien schon länger als gesunde und willkommene Ergänzung des Speiseplans. „Nur in der asiatischen Küche findet man öfter mal Quallen in Suppen und Salaten“, berichtet Kühnhold. „Dabei ist hinsichtlich ihrer großen Artenvielfalt davon auszugehen, dass ihr Potenzial für unsere Ernährung bei weitem noch nicht ausgeschöpft ist. Für Europäer könnten sie als kalorienarmes Superfood in Form von Chips oder Proteinpulver attraktiv werden.“
Kandidat Mangrovenqualle
Um dieses „Superfood“ voranzubringen, untersuchen Kühnhold und sein Team den Nährwert verschiedener Quallenarten und erforschen, wie sich die glibbrigen Nesseltiere am besten in Aquakultur halten lassen und welche Arten dafür gut geeignet sind. Große Hoffnungen setzen die Wissenschaftler dabei auf die Mangrovenqualle, Cassiopeia andromeda.
Diese vor allem in tropischen Gewässern vorkommende Qualle trägt kleine symbiotische Algen in ihrem Körper, die Photosynthese betreiben und ihr dadurch Energie liefern. Daher liegt sie meist mit ihrem Schirm am Meeresboden und streckt ihre Tentakel zur Meeresoberfläche, dem Sonnenlicht entgegen. Zusätzliche Nahrung benötigt die Qualle dank ihrer Symbionten nur wenig – was sie zu einem sparsamen Zuchtobjekt machen würde. Mit moderner LED-Technik könnte sie sogar in einem urbanen Umfeld kultiviert werden.
Aber Quallen sind nicht die einzigen Kandidaten…