Ökologie

Rätsel um „Bird-pocalypse“ gelöst

Logische Erklärungen statt Weltuntergangstheorien

Je mehr Untersuchungsergebnisse zu den Massensterben in der Vogelwelt eintrudeln, desto deutlicher wird, dass die Serie keiner Gesetzmäßigkeit folgt, sondern wohl ein zufälliges Aufeinandertreffen von zumeist logisch erklärbaren Einzelereignissen darstellt. So ist mittlerweile auch der Tod der 5.000 Rotschulterstärlinge im amerikanischen Bundesstaat Arkansas weitgehend enträtselt.

Rotschulterstärlinge: Suche nach der Todesursache © Allison Klein / U.S. Geological Survey

Tod durch stumpfe Gewalteinwirkung

Laut den Tierpathologen um Dr. David E. Green vom National Wildlife Health Center (NWHC) in Madison sind die Rotschulterstärlinge in Beebe an „stumpfer Gewalteinwirkung“ gestorben. Bei vielen von ihnen wurden innere Blutungen diagnostiziert. Bisherige Tests auf Pestizide oder ähnliche Gifte waren dagegen negativ. Es stehen aber noch einige Analysen aus.

Für die staatliche Jagd- und Fischereikommission von Arkansas ist der Fall trotzdem schon jetzt klar. Denn weitere Recherchen vor Ort – darunter ausführliche Gespräche mit Anwohnern – passen gut zu den Resultaten des NWHC und legen nach Angaben der Wissenschaftler um Karen Rowe folgendes Szenario nahe: Gegen 22:00 Uhr am Silvesterabend 2010 werden in der Nähe des Schlafplatzes der Rotschulterstärlinge zehn bis zwölf professionelle Feuerwerkskörper abgeschossen.

200 Millionen Rotschulterstärlinge leben in Nordamerika © Edibobb / CC-BY-SA-3.0

Böller statt Mysterium

Der gesamte Vogelschwarm, möglicherweise bestehend aus mehr als zehntausend Tieren, schreckt durch den Krach auf und erhebt sich auf einen Schlag in die Luft. Weitere Silvesterraketen und – böller sorgen anschließend für noch mehr Verwirrung bei den Tieren. Bei der hektischen Suche nach sicherem Schutz steigen die Vögel zunächst hoch in den Himmel und kehren anschließend wieder in Bodennähe zurück. Dort prallen die völlig gestressten und desorientierten Rotschulterstärlinge mit hohem Tempo gegen Wände, Hausdächer und andere Hindernisse.

„[…]Dies sorgte für den lauten Lärm, den die Bewohner von Beebe zu dem Zeitpunkt registrierten“, erklärt Robert Meese, ein Vogelkundler der Universität von Kalifornien-Davis und Spezialist für Singvögel wie Rotschulterstärlinge. Der vorgestellte Ablauf erklärt dem Wissenschaftler zufolge zudem die Verletzungen durch stumpfe Gewalteinwirkung bei den Vögeln.

Meese Fazit: „Was wie ein großes Mysterium aussah, ist wahrscheinlich doch keins. Und wenn sich das Ganze irgendwo in der Mitte eines Mais- oder Weizenfeldes ereignet hätte statt in einem Stadtgebiet, hätten wir wohl gar nichts davon mitbekommen.“

Massensterben häufiger als gedacht

Und mit noch einer Fehlannahme räumen Wissenschaftler Anfang Januar 2011 endgültig auf: Denn Massensterben sind im Tierreich gar nicht so selten, wie vielfach vermutet und selbst von Experten behauptet. Die NWHC-Forscher in Wisconsin führen seit den 1970er Jahren penibel Buch über solche Naturphänomene. 163 davon haben sie seitdem allein in Nordamerika registriert – pro Jahr. In den letzten acht Monaten waren es laut der Spezialistin für Krankheiten bei Wildtieren, LeAnn White, 95.

In der NWHC-Datenbank enthalten sind für 2010 beispielsweise der Tod von gleich 4.300 Enten durch Parasiten in Minnesota und ein mysteriöses Ableben von 2.750 Seevögeln in Kalifornien. Hier ist die Ursache bis heute allerdings völlig unklar.

Bakterium Clostridium botulinum mit Giftbläschen © CDC

Keine Rekorde bei den Opfern

Auch was die Opferzahlen betrifft, sind die Ereignisse rund um den Jahreswechsel 2010/2011 nicht annähernd rekordverdächtig. So starben laut dem NWHC beispielsweise im Sommer 1996 gleich zwei Mal mehr als 100.000 Enten in Kanada an Botulismus. Fast alle Massensterben lassen sich zudem auf natürliche Ursachen zurückführen und gefährden in der Regel nicht das Überleben der jeweiligen Art. Von „mysteriösen Todesserien“ und „Bird-pocalypse“ keine Spur.

Und noch eins ist klar: Tiertode in XXL gibt es längst nicht nur in der Welt der Vögel, sondern auch in vielen anderen Tiergruppen. Dies zeigen einige Beispiele aus den letzten Jahren…

  1. zurück
  2. |
  3. 1
  4. |
  5. 2
  6. |
  7. 3
  8. |
  9. 4
  10. |
  11. 5
  12. |
  13. 6
  14. |
  15. 7
  16. |
  17. 8
  18. |
  19. weiter

Dieter Lohmann
Stand: 14.01.2011

Keine Meldungen mehr verpassen – mit unserem wöchentlichen Newsletter.
Teilen:

In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Mysteriöse Massensterben
Warum Vögel vom Himmel fallen und Krabben an die Strände gespült werden

Sturzflug in den Tod
Das Vogelsterben im US-Bundesstaat Arkansas

Massensterben in Serie
Tiertode in den USA und Europa häufen sich

Rätsel um „Bird-pocalypse“ gelöst
Logische Erklärungen statt Weltuntergangstheorien

Massenexitus in der Grafschaft Kent
Frostiger Winter kostet 40.000 Krabben das Leben

Entzündetes Fett als Krokodil-Killer
Ökologisches Drama am südafrikanischen Olifant-Fluss

Der Massenselbstmord der Lemminge
Ein Mythos und seine Ursachen

Das große Fressen
Wie Lemming-Populationen zusammenbrechen

Diaschauen zum Thema

News zum Thema

keine News verknüpft

Dossiers zum Thema

Wunderwelt Ozean - Zehn Jahre Volkszählung im Meer - „Census of Marine Life“

Vogelgrippe - Vom Tiervirus zur tödlichen Gefahr für den Menschen

Haie - Vom Jäger zum Gejagten

Umweltgifte - Neue Gefahr für die Gesundheit des Menschen?