„Es waren einzige Plättchen aus Eis, sehr flach, sehr poliert und sehr transparent, ungefähr von der Dicke eines Blattes Papier…aber perfekt in Sechsecken geformt. Ihre sechs Seiten waren so gerade und die sechs Winkel so gleich, dass es unmöglich für einen Menschen wäre, etwas so Genaues herzustellen.“ – für Johannes Kepler waren im 17. Jahrhundert die Kristalle einer Schneeflocke ein unerklärliches Wunder der Natur.
Der Astronom ist jedoch nur einer in einer langen Kette von Gelehrten, Philosophen, Schriftstellern und Forschern, die sich bis heute von der Schönheit und Symmetrie der Schneekristalle in den Bann ziehen ließen. Auch der Mathematiker Ian Stewart ist fasziniert: „Wir alle kennen die seltsame geometrische Schönheit einer Schneeflocke. Durch eine Lupe betrachtet ist sie geradezu atemberaubend. …Sie ist eine verwirrende Mischung von Regelmäßigkeit und Zufall, von Ordnung und Unordnung, von Muster und sinnlosem Durcheinander….“
Sechzählige Symmetrie
Das Muster, das alle Schneeflocken gemeinsam haben, ist die sechzählige Symmetrie. Egal, ob die Flocke nur eine einfache Platte oder ein vielfach verästelter Kristall ist, immer hat sie genau sechs Symmetrieachsen. Damit besitzt sie „eine endlose Erfindungslust in der Abwandlung und allerfeinsten Ausgestaltung eines und immer desselben Grundschemas, des gleichseitig-gleichwinkligen Sechsecks…“, wie es Thomas Mann in seinem Roman „Der Zauberberg“ beschreibt. Doch wie kommt diese Symmetrie zustande?
Wenn Wasser zu Eis gefriert, bilden die Wassermoleküle ein regelmäßiges Kristallgitter. Durch ihre Form und die Winkel ihrer Bindungen untereinander besitzt dieses Gitter bereits eine sechszählige Symmetrie. Doch diese Symmetrie auf Molekülebene reicht allein nicht aus, um die Umwandlung eines winzigen runden Kristallkeims in einen sechseckig-geometrischen Kristall zu erklären. Immerhin ist ein solcher Kristall mehr als zehn Millionen mal größer als seine kleinsten Einheiten und enthält 100 Millionen oder mehr Wassermoleküle.
Weniger Andockstellen für Wassermoleküle
Die Prismenform bildet sich, weil an einigen Stellen des Kristallkeims die Oberfläche glatter ist als an anderen. Hier ragen weniger offene Bindungen in die umgebende übersättigte Luft und bieten daher auch weniger Andockstellen für weitere Wassermoleküle. An anderen Stellen ist die Oberfläche „rauer“ und die Anlagerung wird erleichtert. Der Babykristall wächst daher hier schneller als an den glatten Stellen. Die zugrundeliegende Sechserstruktur auf Molekülebene führt dazu, dass es genau sechs solcher rauen Stellen zu geben scheint.
Haben sich an diesen Stellen erst einmal Vorsprünge gebildet, setzt sich ein weiterer, sich selbst verstärkender Mechanismus in Gang: Da direkt über der Eisoberfläche weniger Wassermoleküle in der Luft sind als ein wenig davon entfernt, wachsen die Stellen des Kristalls am schnellsten, die möglichst weit in die umgebende Luft hineinragen. Und je weiter sie das tun, desto wasserhaltiger wird die Luft und desto mehr Moleküle lagern sich an – eine vorspringende Eisnadel entsteht. Gleiches findet auch an den anderen fünf Ecken des Kristalls statt. Die sechs Eisnadeln verzweigen sich mit der Zeit und bilden so das typische sechszählige Schneesternchen.
Stand: 17.12.2010