In die Gesteine von Meishan wurde im März 2001 im übertragenen Sinne ein goldener Nagel eingeschlagen. Er soll für alle Zeit (oder doch möglichst lange) die Perm / Trias-Grenze festlegen. Einen ähnlichen Nagel könnte man auch an anderen wichtigen Orientierungspunkten versenken, wie etwa in Stevns Klint in Dänemark, einer Klippe mit einer Fischton-Schicht, an der sich ein anderes Massensterben erforschen lässt: das Aussterben der Dinosaurier vor rund 65 Millionen Jahren.
In der Praxis jedoch sind derlei Entscheidungen fast so aufwändig und komplex wie die Forschung, die sie befördern sollen. Dem Golden Spike in China gingen jahrelange Diskussionen in internationalen Expertengremien voraus. Schließlich einigte man sich nach drei Abstimmungen auf Meishan, weil dort über die Zeitgrenze hinweg eine sehr vollständige Abfolge von fossilreichen Meeressedimenten abgelagert wurde. In Meishan ist die Perm/Trias-Grenze innerhalb einer Kalkbank definiert und somit auch die Grenze zwischen Erdaltertum und Erdmittelalter, eine der markantesten Zeitenwenden der Erdgeschichte.
Nationalismus – auch im Wissenschaftsbetrieb?
Wissenschaftler kennen nur ein Vaterland: die Wissenschaft. So sollte es sein – ist es aber nicht. Vom fast sympathischen Lokalpatriotismus bis zum dumpf arroganten Nationalismus, auch Wissenschaftler zeigen natürlich diese ganze Gefühlspalette. Der Zufall, irgendwo geboren zu sein, ist kein Verdienst. Gleichermaßen gibt es keinen Anlass zu Stolz, einem Land zu entstammen, in dem besonders schöne, interessante Gesteine und Fossilien zu finden sind.
In den internationalen Expertengremien, die Zeitengrenzen definieren, gibt es indes diesen Nationalismus. Der goldene Nagel soll im eigenen Lande eingetrieben werden, wenn es irgend geht. Wissenschaftlich betrachtet ist das irrational, denn es sollten ausschließlich sachliche Gründe sein, die bei der Auswahl eines Stratotypen eine Rolle spielen. Vor 250 Millionen Jahren gab es weder Deutsche noch Amerikaner noch Chinesen. Keine Frage, Meishan ist wahrscheinlich der richtige Ort für die Festlegung der Perm/Trias-Grenze. Dafür gibt es gute Gründe.
„Eine Ehre für unser Land“
Der Stolz der Chinesen auf ihren Goldenen Nagel wird im großzügigen Geopark von Meishan überdeutlich. Auf dem Sockel des Conodonten-Denkmals ist es englisch und chinesisch eingemeißelt:
„Der Paläozoisch / Mesozoische Golden Spike im Profil von Meishan ist das Ergebnis mühevoller Arbeit etlicher Generationen chinesischer Geowissenschaftler. Diese Studie ist ein bemerkenswerter Durchbruch der stratigrafischen Forschung in China und stellt eine Ehre für unser Land dar.“
So deutlich würde es im Westen sicher nicht ausgedrückt werden, selbst wenn die Wissenschaftler so dächten. Aber es gibt keinen Grund sich zu überheben. Es gibt bestimmt deutsche Paläontologen, die sich freuen, dass Archaeopteryx aus Deutschland stammt. Und das ist mindestens genauso irrational, denn vor 150 Millionen Jahren waren dem Urvogel Nationalitätenfragen herzlich egal.
Andererseits: Wer Forschungsgelder beantragt, versucht natürlich, die Öffentlichkeit zu erreichen, die für die kostspielige Suche nach der Wahrheit zahlt. Da ist es verlockend, die eigene Forschung mit einem patriotischen Beigeschmack zu würzen – was zwar nicht sachlich ist, aber der Sache dient. Im Forschungsalltag allerdings wird diese Kleinstaaterei diverser Gelehrtenrepubliken relativiert durch ein weit verbreitetes Gefühl der akademischen Solidarität, das keine Ländergrenzen kennt. Das ist in der Paläontologie besonders ausgeprägt und äußert sich in kollegialer Hilfsbereitschaft, auch in China.
Alexander Nützel / Mekkas der Moderne
Stand: 07.01.2011