Unsere Erinnerungen sind für uns wie ein mentales Fotoalbum. Wir durchblättern es, um die Geschichte unseres Lebens Revue passieren zu lassen und uns bestimmte Ereignisse noch einmal detailliert ins Gedächtnis zu rufen. Doch Vorsicht: Die Bilder und Notizen aus dem Album in unserem Kopf können auch eine falsche Geschichte erzählen. Denn sie sind leicht manipulierbar.
{1l}
Forscher wissen heute, dass Erinnerungen nicht immer ein Abbild der realen Vergangenheit sind – häufiger als gedacht beschwören wir im Alltag falsche Erinnerungen herauf. Doch woran liegt das? Einen der bedeutsamsten Gründe dafür sehen Neurowissenschaftler wie Joseph LeDoux von der New York University in der Stimmungsabhängigkeit von Erinnerungen. Demnach kann der Zustand des Gehirns zum Zeitpunkt des Erinnerns großen Einfluss darauf haben, wie ein vergangenes Erlebnis abgerufen wird.
Nachträglich modifiziert
Sind Menschen beispielsweise unausgeschlafen, neigen sie dazu, sich ungenau oder sogar falsch an bestimmte Ereignisse zu erinnern. Ebenso kann unser emotionaler Zustand die Erinnerung an ein Erlebnis färben. So erscheint uns etwa das erste Rendezvous mit dem Partner nach der Trennung womöglich nicht mehr ganz so rosig wie noch zu Beziehungszeiten.
Unser Gedächtnis kann jede Erinnerung nachträglich modifizieren und dabei zum Beispiel Details verändern oder das Erlebte emotional neu bewerten. Viele Wissenschaftler folgern daraus, dass objektives Erinnern nicht möglich ist. Statt einer historischen Dokumentation gleichen unsere Erinnerungen vielmehr einer Geschichte, die wir immer wieder neu schreiben. Aus diesem Grund sind zum Beispiel auch Zeugen- und Opferaussagen vor Gericht mit Vorsicht zu genießen.
Fremde Erinnerungen werden zu eigenen
Frappierend ist, dass nicht nur wir selbst unsere Erinnerungen mitunter umschreiben. Auch andere Personen haben dabei ihre Finger im Spiel. Studien zeigen: Sprechen Menschen über ein gemeinsam erlebtes Ereignis, stimmen die Erinnerungen an dieses Erlebnis danach stärker überein als zuvor. Denn während der Unterhaltung gleichen die Gesprächspartner ihre Gedächtnisinhalte unbewusst aneinander an.
Dieser Effekt reicht so weit, dass wir Berichte anderer in unsere Erinnerung einbauen, obwohl diese überhaupt nicht mit unserem eigenen Erleben übereinstimmen. Dieses Phänomen zeigt sich zum Beispiel bei Experimenten, bei denen Probanden ohne es zu wissen jeweils unterschiedliche Varianten einer Filmszene gezeigt bekommen und sich dann über das Gesehene austauschen. Sollen sie sich später noch einmal die Details der Szene ins Gedächtnis rufen, erinnern sie sich dabei auch an Dinge, die sie selbst gar nicht gesehen haben: Sie übernehmen Angaben ihres Gesprächspartners.
Eingeredete Straftat
Noch gravierender ist, dass uns andere Menschen nicht nur Details, sondern sogar ganze Taten oder Erlebnisse einreden können. So hat die Psychologin Elizabeth Loftus von der University of Washington in Seattle Erwachsenen in einem aufsehenerregenden Experiment manipulierte Fotos gezeigt, auf denen sie als Kinder mit ihren Vätern bei einer Ballonfahrt zu sehen waren.
Beim Anblick dieser Bilder konnte sich die Hälfte der Probanden tatsächlich detailliert an dieses aufregende Erlebnis aus ihrer Kindheit erinnern – ein überraschendes Ergebnis. Denn die vermeintliche Ballonfahrt hatte es so nie gegeben. Die Forscherin und ihre Kollegen hatten für den Versuch Kinderfotos der Teilnehmer in das Bild der Ballonfahrt hineinmontiert.
Bei einem ähnlichen Experiment hat es die Rechtspsychologin Julia Shaw von der London South Bank University vor kurzem geschafft, Studenten glauben zu machen, sie hätten eine Straftat begangen. Redete die Wissenschaftlerin es ihnen nur lange genug ein, waren am Ende immerhin 70 Prozent der unbescholtenen Versuchsteilnehmer davon überzeugt, zu Kindheitstagen etwas gestohlen, jemanden geschlagen oder gar mit einer Waffe attackiert zu haben. Auch im realen Leben kommt so etwas durchaus vor. Als Folge gesteht dann jemand ein Verbrechen, das er überhaupt nicht begangen hat.
Daniela Albat
Stand: 17.11.2017