Ökologie

Rewilding gone wrong

Wenn Renaturierung nach hinten losgeht

Ob Rewilding gelingt, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Selbst wenn die drei Cs – Kerngebiete, Wildtierkorridore und Fleischfresser – gegeben sind, kann Rewilding immer noch fehlschlagen. Etwa dann, wenn es Nutzungskonflikte gibt oder die ökologische Situation falsch eingeschätzt wurde. Drei Beispiele für Rewilding, das zwar gut gemeint, aber trotzdem erfolglos war.

Konikpferde
Die Idylle dieser grasenden Konikpferde in den Oostvaardersplassen trügt. © EM Kintzel, I Van Stokkum/CC-by-sa 3.0

Die niederländische Serengeti

Eine 45-minütige Autofahrt von Amsterdam entfernt liegen die Oostvaardersplassen, eine 56 Quadratkilometer große Seenlandschaft, die auch „niederländische Serengeti“ genannt wird. Heckrinder, Konikpferde und Rotwild streifen dort grasend durchs Marschland. Doch der friedliche Anblick trügt, denn das Gebiet gilt als eine der umstrittensten Rewilding-Bemühungen Europas.

Tatsächlich leben all diese großen Pflanzenfresser erst seit 1983 beziehungsweise 1992 in den Oostvaardersplassen – angesiedelt vom niederländischen Ökologen Frans Vera. Sie sollten die Landschaft offenhalten und damit das Ökosystem wiederherstellen, das vor dem Eingreifen des Menschen dort geherrscht hat. Die Heckrinder galten dabei als Ersatz für den ausgestorbenen Auerochsen, die Konikpferde als moderne Entsprechung des Tarpan-Wildpferdes.

Konikpferde und Heckrind
Auch Heckrinder wie dieser Stier wurden in den Oostvaardersplassen angesiedelt. © GerardM. /CC-by-sa 3.0

Hungertod im Marschland

Zunächst erging es den Tieren in den Oostvaardersplassen gut. Aus anfänglich nicht einmal hundert Pflanzenfressern waren bis 2017 über 5.000 geworden. „Doch der lange und kalte Winter führte dazu, dass 3.226 von ihnen starben, die meisten an den Folgen des Verhungerns“, berichtet Mirjam Hazenbosch von der University of Oxford. Die Tiere hatten mit ihren großen Beständen die Belastungsgrenze des Ökosystems ausgereizt und sich dadurch gewissermaßen die eigene Lebensgrundlage „weggefressen“.

Das massenhafte Sterben der Rinder, Pferde und Hirsche führte zu Protesten der Bevölkerung, denen die Regierung schließlich nachgeben musste. Statt sich wie bislang weitestgehend aus dem Leben der Wildtiere herauszuhalten, wird ihre Zahl nun durch Beschuss reguliert. Doch was genau war schiefgelaufen, dass es überhaupt so weit kommen konnte?

Helen Kopnina von der Hague University of Applied Sciences und ihre Kollegen haben die Vorfälle in den Oostvaardersplassen analysiert und kritisieren, dass das dortige Rewilding entgegen allen Grundprinzipen stattfand: „Die Oostvaardersplassen versagen bei den drei Cs, indem sie Megafauna in ein Gebiet einführten, aus dem sie nicht abwandern kann und in dem es keine großen Fleischfresser gibt“, so das Forschungsteam. Die Bestände blieben dadurch unreguliert und eingepfercht, was letzten Endes zum Leid und Tod der angesiedelten Tiere führte.

Eine Kennzahl für den Erfolg

Während die Fehler des Rewildings in den Oostvaardersplassen deutlich sind, ist es an anderen Orten nicht immer offensichtlich, ob die Renaturierungsmaßnahmen ihren Zweck erfüllt haben oder nicht. Forschende um Josiane Segar vom Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig haben deshalb eine Kennzahl entwickelt, die die Fortschritte des Rewildings in einem Gebiet zusammenfasst.

Dabei fließen einerseits die Meinungen verschiedener Experten ein und andererseits die Auswertung von Satellitendaten der vergangenen zehn Jahre. Der Blick von oben zeigt, wie sehr sich die Umwelt im Zeitverlauf regenerieren konnte, ob die Vegetation etwa dichter geworden ist oder ob sich Flussläufe verändert haben. Segar und ihr Team konnten auf diese Weise bei sieben von Rewilding Europe verwalteten Gebieten ermitteln, ob diese durch die Interventionen tatsächlich „wilder“ geworden waren.

In fünf dieser Gebiete hatte sich die „Rewilding Scores“ im Laufe der Zeit verbessert, in zwei allerdings verschlechtert. In den italienischen Zentral-Apenninen ist der Score am stärksten gestiegen, und zwar um 47,1 Prozent. In den bulgarischen Rhodopen gab es hingegen Einbußen um 13 Prozent, im kroatischen Velebit um 6,7 Prozent.

Velebit
Im kroatischen Velebit war die „Gastfreundschaft” für wiederangesiedelte Tiere oft nicht sehr groß. © Rootmaker/CC-by-sa 3.0

Erst schießen, dann fragen?

„Der Grund für den großen Erfolg in den Zentral-Apenninen liegt darin, dass die Ausgangslage relativ schlecht war, die Menschen vor Ort das Rewilding jedoch als attraktiven sozioökologischen Prozess betrachtet haben“, erklärt Segar im Interview. Außerdem sei die Großflächigkeit des Gebiets von Vorteil gewesen. In den Rhodopen hingegen habe sich die Landwirtschaft im Laufe der Zeit wieder intensiviert und somit weniger Platz für Wildnis gelassen.

Im Velebit-Gebirge scheiterte das Rewilding nicht nur an menschlichen Einflüssen, sondern auch an menschlichem Widerstand. Die Einheimischen waren größtenteils gegen das Rewilding, mit dramatischen Folgen: „Jedes Mal, wenn eine neue Schlüsselart in die Region gebracht wurde, wurde sie umgehend erschossen. Die Rewilding-Gruppe konnte kein Vertrauen aufbauen, die Leute fühlen sich bedroht“, berichtet Segar.

Gerade das Velebit-Beispiel zeigt eine Besonderheit des Rewildings in Europa. Anders als bei den riesigen Nationalparks in Nordamerika oder Afrika mangelt es hierzulande schlichtweg am Platz für abgelegene Wildnis fernab jeder Zivilisation. Wird eine Landschaft im Rahmen des Rewildings verändert, betreffen diese Maßnahmen auch die Menschen, die dort leben. Eine klare Trennung von Mensch und Wildnis ist vielerorts unmöglich.

Doch funktioniert diese Koexistenz mit einer Naturwelt, die derart fern von unserer aktuellen Lebensrealität in Europa ist?

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Mehr Wildnis wagen
Wie Rewilding zerstörte Ökosysteme in Europa wiederbeleben kann

Emanzipation der Natur
Rewilding als Hilfe zur Selbsthilfe für Ökosysteme

Kerngebiete, Wildtierkorridore, Schlüsselarten
Die Grundprinzipien des Rewildings

Rewilding in Deutschland
Das Oder-Delta wird wieder wild

Rewilding gone wrong
Wenn Renaturierung nach hinten losgeht

Ist Europa bereit für Rewilding?
Wildnissuche auf einem dicht besiedelten Kontinent

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