Ferdinand von Richthofen, dem deutschen Geologen und China-Reisenden, ist der Begriff der „Seidenstraße“ zu verdanken. Richthofen reiste zwischen 1868 und 1872 mehrfach nach China, um für westliche Handelsgesellschaften die Bodenschätze des Kaiserreiches zu erforschen. Seine Leidenschaft galt der Geographie des Landes, den naturräumlichen Besonderheiten wie Gesteinsschichten und Oberflächenformen, der Tier- und Pflanzenwelt und deren Zusammenhängen mit der Besiedlung, der wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung des Riesenreiches im Osten. 13 der damals 18 Provinzen Chinas erforschte Richthofen und lieferte damit dem Westen ein umfassendes zeitgenössisches Bild des Landes.
5.000 Jahre alte Seidenballen
Während seiner Forschungsreisen waren in China bereits zahlreiche Archäologen damit beschäftigt, Überbleibsel älterer Kulturen zu bergen. Sie lieferten die Beweise dafür, dass es schon sehr lange Zeit Handelswege über Land zwischen Europa und Asien gegeben haben musste. Als die Archäologen an mehreren Stellen bis zu 5.000 Jahre alte Seidenballen bargen, und daraus schlossen, dass Seide eines der wichtigsten Handelsgüter gewesen sein musste, taufte Richthofen die Ost-West-Route „Seidenstraße“. Damit war der Mythos Zentralasiens, einer der bis heute faszinierendsten Regionen der Erde, begründet. Die uralten Karawanenstraßen, denen Marco Polo im Mittelalter, gen Osten gefolgt war, hatten einen Namen.
Von China bis Byzanz
Zu Zeiten Richthofens hatte die Seidenstraße ihre glanzvollen Zeiten längst hinter sich. Denn begründet wurde sie bereits im zweiten Jahrhundert vor Christus – mit der Expansion der chinesischen Han-Dynastie nach Westen. Ihre Hochzeit erlangte die Seidenstraße etwa zwischen dem 6. und 8. Jahrhundert. In China herrschte die Tang-Dynastie, im Mittelmeerraum breitete sich das Byzantinische Reich aus. Die Stadt Xi’an in der Provinz Shaanxi im Herzen Chinas galt damals mit zwei Millionen Einwohnern als Metropole und war der Ausgangspunkt für riesige Karawanen mit teilweise mehreren tausend Kamelen. Am anderen Ende der Seidenstraße wartete Byzanz, das spätere Konstantinopel und heutige Istanbul, auf die Waren aus Fernost.
Reisezeit drei Jahre
Mehr als 6.000 Kilometer lang war die Handelsroute, die sich in mehrere Teilstränge aufsplittete. So führte ein Weg von Shaanxi in Richtung Europa nördlich, ein anderer südlich um die Salzwüste Taklamakan herum. Sandstürme, Wassermangel, Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht von bis zu 40 Grad und Wegelagerer machten den Händlern hier zu schaffen.
Bis zu fünf Monate dauerte der Transport der Waren allein durch die Wüste Taklamakan. In Kashgar wurden die Waren neu sortiert, um dann nördlich über das heutige Kirgistan und Kasachstan zum Schwarzen Meer transportiert zu werden, weiter südlich über den Pamir nach Persien oder gar über die Karakorum-Berge im heutigen Afghanistan nach Indien.
Insgesamt dauerte die Reise zwischen China und dem Mittelmeerraum in eine Richtung zwei bis drei Jahre. Schließlich lagen mit Bergen bis zu 7.000 Metern Höhe einige der höchsten Gebirgspässe der Welt auf dem Weg der Händler. Aus China gelangten neben Seide auch Gewürze, Parfüme, Porzellan, Glas, Tee oder Samen exotischer Pflanzen nach Europa. Umgekehrt machten die Händler in China mit Elfenbein, Gold, Silber oder Wein ihr Geschäft.
Das Geheimnis der Seidenproduktion
Um Seide, die aus China nach Europa gelangenden feinen Stoffe und Garne, rankt sich so manche Legende entlang der Seidenstraße. Ihre Herstellung galt lange als gut gehütetes Geheimnis der chinesischen Produzenten. Doch dann soll eine chinesische Prinzessin, die dem Herrscher von Chotan, einer westlichen Nachbarprovinz Chinas, versprochen war, Seidenraupen in ihrem Kopfputz verborgen und so an den Grenzwächtern vorbeigeschmuggelt haben. Eine andere Legende besagt, dass zwei byzantinische Mönche Seidenraupen-Kokons in Bambusstäben transportiert haben sollen – ebenfalls um das Geheimnis aus China mit in ihre Heimat zu nehmen.
Der Niedergang der Seidenstraße
Das Ende der großen Karawanen brachte etwa im 10. Jahrhundert der Niedergang der Tang-Dynastie in China mit sich. Zudem wurden die Seewege zwischen Asien und dem Mittleren Osten, später auch Europa zunehmend entdeckt und ausgebaut.
Dschinghis Khan (1162 – 1227), der sein Mongolenreich in Zentralasien errichtete, oder Tamerlan (1336 – 1405) und seine Herrschaft der Timuriden stehen noch heute für die Exotik der Region. Mit der Seidenstraße haben die beiden Großherrscher jedoch kaum etwas zu tun. Sie griffen allenfalls auf kurze Etappen der Seidenstraße zurück, um regionalen Handel zu befördern – vielmehr waren sie mit Schlachten und Eroberungsfeldzügen beschäftigt. China hatte sich zu dieser Zeit längst gegen den Westen abgeschottet.
Nicht nur der Handel mit Waren aller Art nahm so ihr Ende, auch der Austausch an praktischem Wissen und Gedankengut. Denn lange hatte die Seidenstraße auch als Katalysator verschiedenster Religionen gedient. So waren Juden- und Christentum nach Osten, der Zoroastrismus oder der Hinduismus nach Westen gelangt. Im Mittelalter dann verdrängte der sich ausbreitende Islam den bis dahin überwiegenden Buddhismus in Zentralasien.
Stand: 04.04.2008