Wem es gehörte, warum es vergraben wurde und wie es an seinen späteren Fundort gelangte, kann nur gemutmaßt werden. Dass es aber mehr als 3.000 Jahre alt ist und auch zur damaligen Zeit von unschätzbarem Wert gewesen sein muss, kann als gesichert gelten – das Ingolstädter Bernstein-Collier. 1996 in Süddeutschland gefunden, ist bis heute ein weltweit einmaliges Zeugnis europäischer Kunst aus der Bronzezeit. Und es zeigt, wofür Bernstein am häufigsten verwendet wurde.
In einer Epoche, da am Mittelmeer und im Orient die Königreiche der Ägypter, Hethiter und Mykener ihre kulturelle Blütezeit erlebten, galt in Europa der Handel als wichtigster Konjunktur-Motor. Vor allem die Rohstoffe für Bronze, Kupfer und Zinn, gab es in Nordeuropa nicht, sie mussten aus dem Süden importiert werden. Beliebtes Tauschmittel dabei: Bernstein. Als Schmuck war er zu dieser Zeit allerdings noch weniger geschätzt.
Umso mehr erstaunte der Fund der opulenten Halskette. Das Collier besteht aus fast 3.000 Bernsteinperlen und wurde offenbar kaum getragen. Nahe liegt, dass es einer hochgestellten Dame gehörte, doch warum es in einem Tonkrug vergraben wurde, ist bis heute nicht geklärt. Tatsache ist, das Fundstück hatte – von der Ostsee kommend – einen für damalige Verhältnisse langen Weg hinter sich.
Zwar hatte man schon in der Steinzeit begonnen, den Bernstein zu Amuletten und Ketten zu verarbeiten, doch wirklich bekannt wurde das Gold des Nordens erst mit den Römern. Für sie war der Besitz von Bernstein kostbarer als der eines Sklaven. Und sie waren es auch, die die Handelsstraßen Europas zu wahren Bernsteinstraßen ausbauten. Bis nach Marseille, an die Adria und den Bosporus und sogar bis nach Ägypten gelangte der Baltische Bernstein. Was die Römer nicht verkauften, behielten sie als Schmuck und für Dekorationen.
Eine solche Kostbarkeit war der Bernstein für die Wikinger nicht. Als überall am Meer verfügbares Material, das sich zudem leicht verarbeiten ließ und dennoch fest und haltbar war, nutzten sie es zur Herstellung von Alltagsdingen – Spielwürfel, Spinnwirtel und Spindeln, Amulette. Die Wikinger gingen sogar noch weiter: Sie nahmen den Bernstein zum Heizen – was heute jedem Inklusen-Fan Tränen in die Augen triebe. Noch bis ins 19. Jahrhundert regelte das so genannte Bernstein-Regal, ein gesetzlich festgelegtes Privileg, das königliche Hoheitsrecht am Bernstein – unter Todesstrafe war der private Besitz in Preußen verboten. Auch der Bernstein an der samländischen Küste hatte bis dahin den preußischen Königen gehört. Gegen eine Pauschalsumme von 30.000 Mark überließ jedoch Friedrich Wilhelm III. im Jahre 1837 die gesamte Bernsteinnutzung von Danzig bis Memel den Strandgemeinden.
Keine Bananen, keine Jeanshosen, kein Bernstein – die DDR schaffte es, sogar Bernstein zur Mangelware zu machen. Schuld war die Sowjetunion. Von zehn Tonnen schraubte sie Anfang der 70er Jahre die Jahreslieferung auf eine Tonne herunter. Daraufhin schaltete der VEB Ostseeschmuck, Hauptabnehmer der Importware, Zeitungsanzeigen im eigenen Land und forderte die Bürger auf, Bernstein nach Ribnitz-Damgarten zu schicken. Durch die Häufigkeit der Zusendungen von Bitterfelder Bergleuten aufmerksam geworden, beauftragte der volkseigene Betrieb schließlich Geologen, den Braunkohletagebau Bitterfeld näher unter die Lupe zu nehmen. Und tatsächlich entdeckte man eine wahre Meeres-Gold-Mine – Bitterfeld wurde zum Bernsteintagebau.
Heute spielt Bernstein vor allem in der chemischen Industrie eine Rolle, da er für die Herstellung von Lacken und Ölen verwendet werden kann. Aus Resten wird unter hohem Druck und hoher Temperatur Pressbernstein hergestellt, der sich durch seine homogene Struktur für die industrielle Weiterverarbeitung eignet, beispielsweise für Schmuck oder Gebrauchsgegenstände. Da sein elektrischer Widerstand größer als der von Porzellan ist, wird Bernstein auch als Isolator verwendet.
Stand: 03.09.2004