Im Dunkeln lässt’s sich zwar gut munkeln, aber in der Regel mag der Mensch es hell, taghell. Und das am liebsten Tag und Nacht. Seitdem Edison die Glühbirne erfunden hat, also seit Anfang des 20. Jahrhunderts, wird es langsam immer heller auf der Erde. Auf Satelliten-Photos sieht man sehr deutlich, dass gerade in den Industrieländern die Nacht längst zum Tag geworden ist. Alles wird angeleuchtet, ausgeleuchtet und sichtbar gemacht. Das bringt jedoch nicht nur den Tag-Nacht-Rhythmus der Menschen durcheinander, sondern auch den der Tiere. Lichtverschmutzung – Light-Pollution – wird das Problem genannt, dessen Ausmaß erst in letzter Zeit bekannt wurde.
Eine leuchtende Straßenlaterne in der Nacht: Tausende Insekten umschwirren stundenlang das Licht, viele wagen sich zu nah an die heiße Glühbirne und verbrennen. Fast jeder hat dieses Phänomen schon beobachtet, meist ohne sonderlich Anteil am Tod der Tiere zu nehmen. Sind es doch die gleichen, die uns sonst ärgern oder sogar stechen. Aber Millionen Insekten finden im Sommer allabendlich den Tod im heißen Lichtschein der Lampen. Sie sterben an Erschöpfung durch die endlose Fliegerei, verhungern schlicht oder verbrennen.
Bis zu 100 000 Insekten wurden an einer bestrahlten Fabrikwand in einer Nacht gezählt. Einige Zoologen sind der Meinung, dass der Lichttod der Insekten an der schleichenden Verarmung der Arten mit schuld ist. Und das hat fatale Folgen weit über die Insekten hinaus: Viele von ihnen dienen Vögeln und Kleinsäugern als Nahrung und bestäuben im Sommer Millionen von Blüten. Sie spielen so eine entscheidende Rolle im Beziehungsgeflecht der Stadtökosysteme.
Aber nicht nur die meist ungeliebten Insekten, auch Vögel sind von dem nächtlichen Lichtermeer betroffen. Besonders für Zugvögel auf ihren langen nächtlichen Wanderflügen können hohe beleuchtete Türme und Gebäude zu tödlichen Fallen werden. Die Vögel erreichen bei ihren nächtlichen Wanderungen teilweise enorme Geschwindigkeiten, Krickenten beispielsweise rasen mit bis zu 120 km/ h durch die Nacht. Wenn ein Vogel dabei auf ein Hindernis aufprallt, hat das tödliche Folgen. 20.000 Vögel fanden in nur einer Nacht am 300 Meter hohem Fernsehturm in Wisconsin den Tod. Der Grund: Der Turm war mit Flugzeug-Leuchtfeuern ausgestattet, welche die Tiere stark irritierten.
Ein weiteres Problem sind Skybeamer. Im Landkreis Marburg-Biedenkopf wurde ein nächtlich ziehender Kranichschwarm so von den Skybeamern einer Disco verstört, dass die Vögel nach stundenlangem Herumkreisen schließlich erschöpft in den Vorgärten der erstaunten Bevölkerung landeten.
Die Auswirkungen des Lichts sind jedoch noch weitaus umfassender: Mit der Störung des Tag-Nacht-Rythmus bei zuviel Licht in der Nacht wird oft auch der Fortpflanzungsrythmus, das Hormonsystem und das Nervensystem durcheinander gebracht. In der Nachbarschaft der Autorin war im Frühjahr eine Amsel von den Straßen- und Kneipenbeleuchtungen so verwirrt, dass sie ihre Balzgesänge nie vor elf Uhr abends begann. Selbst Bäume verlieren ihre Blätter im Herbst später, wenn sie unmittelbar neben einer starken Lichtquelle stehen.
Auch Meeresschildkrötenschützer kennen das Problem. Es ist jedesmal ein großes Spektakel, wenn die frisch geschlüpften Schildkrötenjungen in der Nacht ihr Gelege verlassen und auf das Meer zusteuern. Tausende kleiner Minipanzer wuseln mühsam, aber behende über den Strand in Richtung Wasser. Auf dem Weg dorthin drohen ihnen sowieso schon etliche Gefahren, denn Möwen, Greifvögel und nachtaktive Raubsäuger wissen sie als Leckerbissen zu schätzen. Doch seit kurzem beobachten Forscher ein neues Phänomen: Frisch geschlüpfte Jungschildkröten auf Stränden in der Nähe großer Städte krochen in letzter Zeit vermehrt in Richtung Stadt, statt zum rettenden Wasser. Was war geschehen? Schildkröten orientieren sich auf ihrem Weg zum Meer vermutlich am Mond- und Sternenlicht, das hell vom Wasser des Ozeans reflektiert wird. Die Landseite war ursprünglich immer dunkel. Doch nun ist es umgekehrt. Der Lichtschein der großen Küstenstädte verwirrt die uralten Navigationsfähigkeiten der Tiere und sie laufen in den Tod.
Die meisten Menschen hingegen stören sich nicht so sehr an dem nächtlichen Lichtbombardement. Bei einer Umfrage von Infratest aus den achtziger Jahren fühlten sich nur 2,4 Prozent der Befragten durch künstliches Licht gestört. Wenn eine Straßenlaterne genau aufs Bett scheint, ist das schon ärgerlich, aber wozu gibt es Jalousien? Und Sternegucken kann man im Urlaub. Doch in den letzen Jahren hat sich diese Haltung geändert. Inzwischen gibt es immer mehr Initiativen, die gegen hell ausgeleuchtete Nächte plädieren. Spezielle tierfreundliche und energiesparende Lichtsysteme, wie Natriumdampf-Hochdrucklampen wurden entwickelt. Diese neuen Systeme besitzen ein anderes Spektrum als normale Lampen und lassen die Insekten daher kalt. Außerdem gibt es Lampenformen, die ihr Licht gezielt auf bestimmte Punkte am Boden strahlen und durch den geringeren Streuverlust weniger Tiere anlocken.
Diese Entwicklung läßt doch wieder auf romantische Sternennächte in Großstädten hoffen…
Stand: 26.07.2000