1. November 2003, einige Stunden nach Mitternacht. Das deutsche Forschungsschiff Sonne befindet sich auf seiner insgesamt 174. Forschungsexpedition und hat von Balboa in Panama kommend schon vor einiger Zeit den Golf von Mexiko erreicht.
Eigentlich geht es dem internationalen Wissenschaftlerteam auf der sechswöchigen Reise vor allem um Gashydrate. Die Forscher um Professor Gerhard Bohrmann vom DFG Forschungszentrum Ozeanränder an der Universität Bremen und Professor Ian MacDonald von der Texas A&M University (TAMU) in Corpus Christi wollen bisher unbekannte Vorkommen dieser eisähnlichen Verbindungen aus Methan und Wasser aufspüren. Ihr Ziel ist es aber auch, offene Fragen im Zusammenhang mit diesem Phänomen zu klären.
Auf der Suche nach „Brennendem Eis“, wie man die Gashydrate aufgrund ihrer leichten Entzündbarkeit auch nennt, haben die Forscher in den letzten Tagen die Campeche Bucht nordwestlich der mexikanischen Halbinsel Yucatan inspiziert. Mithilfe eines Fächerecholots sind sie bei der Kartierung von 7.000 Quadratkilometern bisher unbekannten Meeresbodens in rund 3.300 Metern Wassertiefe auf 22 riesige Hügel gestoßen.
Ein Meer aus Salzdünen
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Diese so genannten Campeche Knolls sind für die Wissenschaftler keine große Überraschung. Denn dass es sie am unteren Kontinentalhang der Campeche Bucht gibt, vermuten die Forscher schon lange. „Baumeister“ dieser Tiefseehügel sind Salzstöcke, die aus acht bis 15 Kilometern Tiefe nach oben drängen und dabei die Campeche Knolls aus dem Meeresboden herausdrücken.
Erstmals jedoch können Bohrmann und seine Kollegen jetzt die genaue Form und Lage der ungewöhnlichen Tiefseehügel bestimmen. Sie finden lang gestreckte Rücken, aber auch rundliche Kuppen mit 450 bis 800 Metern Höhe und einem Durchmesser von fünf bis zehn Kilometern. Wie ein riesiges Dünenfeld überziehen sie den Ozeanboden.
Schon diese Kartierung ist ein großer wissenschaftlicher Erfolg, doch die eigentliche Sensation soll erst noch folgen. Die Wissenschaftler an Bord haben sich entschlossen, drei dieser Campeche Knolls genauer unter die Lupe zu nehmen. Sie schicken deshalb den TV- Schlitten OFOS (Ocean Floor Observation System) zum Meeresboden hinunter.
Dieses unbemannte Mini-U-Boot ist unter anderem mit Scheinwerfern und Bild- und Videokameras bestückt und soll erste „Live-Aufnahmen“ des kleinsten aller gefundenen Hügel liefern. Während OFOS vorsichtig über den Meeresboden gezogen wird, starren die Wissenschaftler an Bord der Sonne gebannt auf die Monitore. Die Bilder aber sind zunächst relativ unspektakulär und zeigen nur ein trostloses, wüstenartiges Unterwasserszenario.
Tiefsee-Oase auf Asphalt-Basis
Doch das ändert sich schon bald. Denn im Scheinwerferlicht tauchen mysteriöse schwarze Strukturen am Boden auf, die von zahlreichen Rissen und Spalten überzogen sind. Einige davon erinnern stark an die auffälligen Basaltlavaströme auf Hawaii. Doch das ist noch nicht alles: Zur großen Überraschung der Forscher wimmelt es hier von Leben. Schon auf den ersten Blick sind Bartwürmer, aber auch Muscheln, Krebse oder Fische zu erkennen, die sich in dieser exotischen Tiefsee-Oase scheinbar überaus wohl fühlen.
Aber was ist das für ein merkwürdiger Bodenbelag, der auf einer Fläche von rund einem Quadratkilometer Größe zu finden ist? Und wovon ernähren sich die entdeckten Organismen in der totalen Finsternis der Tiefsee? Die Wissenschaftler stehen zunächst vor einem Rätsel. Um Antwort auf diese Fragen zu erhalten, wird ein so genannter Video-Greifer eingesetzt. Der Roboter nimmt gezielt Bodenproben, die dann an Bord ausführlich untersucht werden.
Als die Ergebnisse der Analysen vorliegen ist die Überraschung perfekt: Neben den tiefsten bisher geborgenen Gashydraten, finden die Forscher Öl und vor allem ein Material mit dem sie überhaupt nicht gerechnet haben: Asphalt. Offenbar handelt es sich bei den Campeche Knolls um Unterwasser-Vulkane, aus denen aber kein Lavabrei sondern Asphalt fließt.
„Nur selten hat man als Forscher die Gelegenheit völlig unbekannte Dinge zu entdecken. Auf der Erde bietet das in diesem Maße nur die Tiefsee. Eigentlich haben wir nur nach Methanvorkommen am Meeresboden gesucht, doch stattdessen haben wir eine neue Art von Vulkanen mit einem komplexen Ökosystem gefunden", erläutert Bohrmann später die überraschenden Funde.
Stand: 02.11.2006