Ein spezieller Typ der Gesten, die sogenannten hinweisenden Gesten, sind für die Forscher auf der Suche nach den Wurzeln der Sprache besonders interessant. Diese Bewegungen lenken die Aufmerksamkeit und das Verhalten von anderen Individuen auf äußere Dinge. Erste hinweisende Gesten sind zum Beispiel die Zeigegeste („da“; „dort“), das Hochhalten von Objekten („schau dies“) und das Anbieten („nimm dies“). Sie werden von Kindern schon ab einem Alter von neun bis zwölf Monaten verwendet. Diese Gesten repräsentieren die ersten kommunikativen Versuche des Kleinkindes, die Aufmerksamkeit anderer auf etwas Drittes zu lenken.
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Hinweisende Gesten erzeugen ein sogenanntes referenzielles Dreieck von Kind, Erwachsenem und Gegenstand oder Ereignis. Beide Beteiligten richten ihre Aufmerksamkeit gemeinsam auf das Dritte Element in diesem Dreieck. Forscher sehen in solchen Gesten den Auftakt zur Verwendung von Symbolen. Denn auch sie basieren bereits auf relativ komplexen kognitiven Fähigkeiten. Diese Gesten gelten daher auch als Meilensteine in der Entwicklung menschlicher Sprache.
„Kraul mich“
Vergleichbare Gesten bei unseren nächsten lebenden Verwandten, den Menschenaffen, sind dagegen relativ selten. Sie wurden bisher vorwiegend zwischen gefangenen oder vom Menschen aufgezogenen Individuen und ihren Pflegern beobachtet. Im Unterschied zu Kleinkindern nutzen die Affen diese Gesten meist nicht, um auf etwas anderes hinzuweisen, sondern um ihr Gegenüber direkt zu einer Aktion aufzufordern („Kraul mich“).
Die überzeugendste Beobachtung zur Verwendung hinweisender Gesten stammt von freilebenden Schimpansen (Pan troglodytes) der Ngogo-Gruppe im Kibale Nationalpark, Uganda. Diese verwenden gezielte Kratzgesten, um anderen Artgenossen mitzuteilen, an welcher Körperstelle sie gelaust werden möchten. Dabei kratzen sie sich so, dass der damit angesprochene Artgenosse diese Geste auch wirklich sehen kann. Da hinweisende Gesten in freier Wildbahn ein relativ seltenes Phänomen darstellen und auch bisher nicht in anderen Tierarten beobachtet wurden, hielt man sie bisher nicht nur für ein sehr seltenes, sondern auch für ein auf die Primatenlinie begrenztes Phänomen.
Simone Pika, Max-Planck-Institut für Ornithologie
Stand: 13.07.2012