Schon der Volksmund kennt die Weisheit „Steter Tropfen höhlt den Stein“. So entstand auch der imposante Grand Canyon erst durch die zerstörerische Arbeit des Flusses Colorado. Dieser hat sich über Millionen von Jahren bis zu 1.600 Meter regelrecht durch das Gestein gefräst. Doch dass es auch schneller geht, zeigten neue Untersuchungen im Osten der USA: Bis zu einem Meter pro Jahrtausend schaffen dort der Potomac oder der Susquehanna. Innerhalb von nur 35.000 Jahren entstanden so die berühmten Wasserfälle von Holtwood Gorge nahe Harrisburg und die Great Falls nahe Washington.
Klima als Katalysator
Dieser jüngst entdeckte „Gesteinshunger“ überraschte die Fachwelt, war man doch bislang von einem wesentlich längeren Entstehungszeitraum der zehn bis 20 Meter tiefen Schluchten ausgegangen. „Weil das Grundgestein so hart und resistent gegenüber der Erosion ist, ereignet sich der größte Teil der Abtragungen während extremer Flutereignisse“, erklärt Luke Reusser, Geologe der Universität von Vermont, USA. „Ein Klimawandel, der die Anzahl und Heftigkeit der Fluten erhöhte, scheint die Abtragungsrate entlang beider Flüsse vor rund 35.000 Jahren erhöht zu haben.“ Damit spielen ihrer Meinung nach die regionalen Klimaschwankungen eine wesentlich größere Rolle als die von den Gletschern der Umgebung stammenden Schmelzwasserflüsse.
Stein an Stein
Für die Erosionsleistung eines Flusses ist neben der Beschaffenheit des Untergrundes vor allem die Dauer und die Menge des Wassers entscheidend. Dabei liegt die Zerstörungskraft nicht wie vielleicht anzunehmen ist im Wasser selber, sondern in der Menge der mitgeführten Gerölle. Diese mehr oder weniger großen Gesteinsbrocken rollen wie der Name schon sagt über das Flussbett. Sie werden durch das fließende Wasser auf den Boden geschlagen, kollidieren, werden hochgehoben und prallen gegen Widerstände. Daher sind Steine im Oberlauf eines Flusses häufig scharfkantig und spitz, hingegen im Unterlauf oval bis rund mit glatter Oberfläche – eben abgerundet durch den langen Transport übers Flussbett.
Durch Experimente fanden Wissenschaftler heraus, wie viele Kilometer die unterschiedlich harten Gesteine in einem Bach mit 0,2 Prozent Gefälle bis zu ihrer Zertrümmerung zurücklegen müssen. So ist ein weicher Sandstein bereits nach 1,5 Kilometern Transport von 20 Zentimeter auf zwei Zentimeter „zurechtgestutzt“, ein harter Granit hingegen lässt sich dafür immerhin elf Kilometer Zeit.
Tiefes Bett
Aber zurück zum Flussbett selber. Denn nicht nur die transportierten Steine werden auf ihrem langen Weg zum Meer zerkleinert, auch das Flussbett selber wird durch den steten „Steinschlag“ immer weiter zerstört und regelrecht ausgebaggert. Dabei gilt: Je höher das Gefälle und je größer die Fließgeschwindigkeit, desto mehr Felsbrocken kann ein Fluss transportieren und desto stärker ist daher auch die Erosion seines Bettes. Diese so genannte Tiefenerosion ist demzufolge in den Oberläufen der Flüsse am größten und in den weitaus ruhigeren Unterläufen am geringsten. Hier reicht die Schleppkraft des Wassers meist für den Transport gröberer Gesteine nicht mehr aus, das Material wird schließlich abgelagert. Diese unterschiedliche Transportleistung spiegelt sich übrigens auch an der Gewässersohle wider: Je weiter man sich der Mündung nähert, desto feinkörniger wird auch der Boden des Flusses.
Natürlich verbleibt nur ein Bruchteil dieser Sedimente auch tatsächlich im Flussbett. Denn weltweit werden jährlich über 13 Milliarden Tonnen Verwitterungsprodukte von den Kontinenten ins Meer verfrachtet. Die Flüsse sind also nicht nur Transportwege für den Menschen sondern auch für die Sedimente. So hat das Wasser beispielsweise allein am Südfuß des Himalajas bis heute ein fünf Kilometer mächtiges Sedimentpaket angesammelt – alles Verwitterungsschutt aus dem größten Gebirge der Welt. Auf ein Volumen von ungefähr 8,5 Millionen Kubikkilometer schätzen Geologen den Erosionsschutt in der Ebene und dem Gangesdelta, dies entspricht immerhin dem doppelten Volumen des Mittelmeers. Dabei ist dies wahrscheinlich nur ein Bruchteil der gesamten Fracht. Der weitaus größere Teil der Flusssedimente wurde wahrscheinlich nicht abgelagert, sondern verschwand in den Tiefen des Indischen Ozeans.
Stand: 04.03.2005