Botanik

Schmarotzer in der Baumkrone

Misteln - nicht immer so harmlos wie zu Weihnachten

Mistel © Glenn Vargas

Die alten Germanen hielten die hoch oben in den Bäumen sitzenden immergrünen Misteln für heilig, weil sie glaubten, sie seien vom Himmel gefallen. Ganz wie bei Asterix ernteten die Druiden Misteln für ihre Zaubertränke, wobei die Pflanzen dabei nicht auf den Boden fallen durften. Und heute noch bringt ein weihnachtlicher Kuss unter ihren Zweigen Glück – das entsprechende Paar wird angeblich im nächsten Jahr heiraten.

Den Bäumen, auf denen die Misteln wachsen, bringt diese Pflanze eher weniger Glück. Im Gegenteil, denn es handelt sich um einen Halb-Parasiten. Die grünen Blätter enthalten zwar Chlorophyll und können Photosynthese betreiben, die Versorgung mit Kohlenhydraten ist also gesichert, Wasser und Mineralstoffe entzieht sie aber dem Baum.

Über Vogelkot gelangen die klebrigen Samen an ihren Bestimmungsort hoch oben im Baum, ganz so unrecht hatten die alten Germanen also nicht. Allerdings ist nicht jeder Baum als Wirtspflanze geeignet – fällt ein Samen auf einen ungeeigneten Baum oder gar auf den Boden, ist er verloren. Gelangt er aber auf den richtigen Ast, dringt der Keimling mithilfe von umgewandelten Wurzeln, den Haustorien, in die Baumrinde ein und arbeitet sich bis zu den Leitungsbahnen, dem Xylem, des Astes vor. Hier zapft er die Wasser- und Mineralstoffleitung an und nimmt die erforderlichen Nährstoffe auf, an die Pflanzen im Regelfall über ihre Wurzeln aus dem Boden gelangen.

Mit Misteln besetzter Baum © Charles Webber/California Academy of Sciences

Für dieses ungewöhnliche Leben hoch oben in der Baumkrone hat die Mistel verschiedene Anpassungsstrategien entwickelt. Da sie das Wasser von dem Wirtsbaum abziehen muss, empfiehlt es sich, sorgsam damit umzugehen. Die dickhäutigen Blätter erschweren die Verdunstung und verhindern auf diese Weise eine Wasserverschwendung. Da die immergrünen Blätter nicht abgeworfen und damit im Frühjahr nicht neu gebildet werden müssen, spart die Mistel auf diese Weise Baumaterial und somit Nährstoffe. Die kleinen, unscheinbaren Blüten blühen schon von März bis April, wenn die Wirtsbäume noch kein Laub tragen. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass die Insekten die Blüten überhaupt finden. Dieselbe Strategie gilt für die Beeren, die erst im Dezember reifen, wenn die Bäume ebenfalls kahl sind.

Die Laubholzmistel entnimmt dem Baum in der Regel nur so viele Nährstoffe, dass dieser damit leben kann. Würde der Baum sofort absterben, wäre das für die nur langsam wachsende Mistel schließlich kein Vorteil, denn ohne die versorgenden Leitungsbahnen, könnte auch sie nicht weiter leben. Dennoch schadet der permanente Abzug von Xylemsaft dem Baum. Oft verkümmern die befallenen Äste und bei stärkerem Befall von Misteln stirbt der Baum schließlich ab. Teilweise steckt bei den „Wirtsbäumen“ aber auch eine Strategie dahinter. Birnbäume etwa reagieren radikal auf den unliebsamen Schädling: im Umkreis der Keimungsstelle kommt es zu einem Absterben des Gewebes. Diese Partien bleiben zwar auf Dauer geschädigt, aber immerhin gelangt der Parasit so nicht mehr an Nahrung und muss sterben.

Nadelbäumen kann die Mistel dagegen schon gefährlicher werden. Vor allem auf geschwächten Bäumen kann sie sich schnell ausbreiten und Tannen schon nach wenigen Jahren zum Absterben bringen. Aber auch gesunde Bäume sind nicht vor ihr sicher, vermutlich weil sie durch Luftschadstoffe schon gestresst waren.

Den richtigen Riecher hatten die keltischen Druiden übrigens schon: Heute werden Inhaltsstoffe der Mistel für ihre blutdruckregulierenden Eigenschaften geschätzt. Zudem hemmt ein Protein der Mistel unkontrolliertes Zellwachstum und wird deshalb in der Krebsbekämpfung eingesetzt.

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Stand: 06.06.2002

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

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Brutale Strategien im Reich des Chlorophylls

Von wegen wehrlos
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...und die Falle schnappt zu
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