„Zugspitzgletscher in 20 Jahren verschwunden?“, „Antarktis: Gletscher schwinden schneller!“, „Kilimandscharo im Schwitzkasten“: Schlagzeilen wie diese laufen in den letzten Jahren immer häufiger über die Ticker der Nachrichtenagenturen. Der vom Menschen gemachte Treibhauseffekt und der damit verbundene Anstieg der globalen Temperaturen um knapp ein Grad Celsius seit 1860 machen auch vor den weißen Riesen der Berge nicht halt.
Nicht nur die Gletscher in den Alpen oder auf der Antarktischen Halbinsel reagieren besonders empfindlich auf den Temperaturanstieg, auch im Himalaya schmilzt das Eis. Und zwar so schnell wie sonst nirgendwo auf der Erde. Dies belegt eine Studie, die der WorldWide Fund for Nature (WWF) im März 2005 vorgestellt hat. Danach gehen die Gletscher in Nepal, Bhutan oder Indien jährlich um zehn bis 15 Meter oder mehr zurück.
Und auch in China läuft der Rückzug der Eismassen zurzeit in ungeahntem Tempo ab. Yao Tandong vom Institut für die Erforschung der Tibetanischen Hochebene an der Chinesischen Akademie der Wissenschaften hält es für möglich, dass mehr als 60 Prozent der chinesischen Gletscher bis zum Jahr 2050 vollständig abgetaut sein könnten.
Ausbrüche von Gletscherseen
Sollten die weißen Riesen tatsächlich in Rekordzeit schwinden, befürchten Klimaforscher und Umweltorganisationen eine Zunahme der Überschwemmungen im Himalaya. Doch von welcher Seite droht die meiste Gefahr? Die Forscher halten vor allem die gewaltigen Seen in mehreren tausend Metern Höhe für „tickende Zeitbomben“. Allein in Bhutan gibt es fast 700 Gletscher mit mehr als 2.600 dazugehörigen Seen. In Nepal oder Tibet sind es noch viel mehr.
Geologen der Universität Wien, die sich seit einiger Zeit zusammen mit Kollegen vom Nepal Department of Hydrology and Meteorology mit dem brisanten Phänomen beschäftigen, sehen die Gefahr, dass viele dieser ohnehin gewaltigen Wassserreservoire durch die Gletscherschmelze immer weiter anschwellen.
Irgendwann, so die Wissenschaftler, werden dann die Wassermassen immer häufiger die sie bändigenden Dämme aus Gletscherschutt sprengen und als todbringende Sturzfluten bergab rasen. Viele hundert Meter tiefer in den fruchtbaren Tälern zerstören sie dann alles, was sich ihnen in den Weg stellt.
Schon heute gibt es gelegentlich solche Naturkatastrophen im Himalaya. Alle drei bis fünf Jahre berstet irgendwo in dem riesigen Gebiet urplötzlich ein Gletschersee. 1994 kamen bei einer solchen Sturzflut im Norden Bhutans mindestens 20 Menschen in dem Gemisch aus Wasser, Geröll, Schlamm und ausgerissenen Bäumen ums Leben.
Frühwarnung vor der Katastrophe
Um solche Dramen in Zukunft vielleicht zu verhindern, haben die Geowissenschaftler der Universität Wien in den letzten Jahren die Gefahren in der Region durch Gletschersee-Ausbrüche näher unter die Lupe genommen. Dabei haben sie besonders bedrohte Gebiete identifiziert. Wie die Wissenschaftler im Jahr 2003 betonten, wäre der Aufbau eines Frühwarnsystems wichtig, um die Menschen angesichts der drohenden Gletscherschmelze vor den Auswirkungen der herabstürzenden Wassermassen besser zu schützen.
Gefahr erkannt – Gefahr gebannt?! Soweit ist es in Bhutan wohl noch lange nicht. Immerhin hat die Regierung aber mittlerweile mit der Arbeit begonnen und ist dabei, Notfallpläne für besonders gefährdete Regionen des Landes zu entwickeln. Ob das allein reicht, um die in Zukunft immer stärker werdende Bedrohung durch die Gletscherschmelze und Sturzfluten zu bannen, ist jedoch mehr als fraglich.
Erst Hochwasser dann ausgedörrte Flussbetten
Doch das Verschwinden der Geltscher hätte auch noch ganz andere Folgen. Die Eisgiganten versorgen die wichtigsten Flüsse in der Region wie Ganges, Brahmaputra oder Yangtze seit Jahrhunderten mit Wasser. Zum Teil viele tausend Kilometer flussabwärts stillt dieses ehemalige Gletscherwasser den Durst der Städte und Industrien sowie der Landwirtschaft.
„Zunächst wird das Schmelzwasser die Gletscherflüsse ansteigen lassen“, erläutert Regine Günther, Leiterin des WWF-Klimareferats, die sich abzeichnende ökologische und humanitäre Katastrophe. „Doch schon in wenigen Jahrzehnten werden Eis und Schnee soweit reduziert sein, dass sich die Situation umkehrt und die Wasserstände sinken.“ Spätestens dann drohen in den Anrainerstaaten der Himalaya-Flüsse dramatische Engpässe bei der Wasserversorgung.
Allein in China wären von dem Abschmelzen der Gletscher rund 1,3 Milliarden Menschen betroffen. Besonders im staubtrockenen Westen des Landes sind die Menschen auf das regelmäßig ankommende Gletscherwasser angewiesen. Wissenschaftler erwarten, dass sich das zurzeit noch fruchtbare Ackerland dann in kurzer Zeit in wüstenartige Gebiete verwandelt.
Doch was kann man tun, um die tödliche Gefahr für Mensch und Natur doch noch abzuwenden? Umweltorganisationen wie der WWF sind skeptisch, dass das überhaupt gelingen könnte. „Das Handlungsfenster einen gefährlichen Klimawandel noch abzuwenden ist klein. Die klimaschädlichen Treibhausgase müssen jetzt drastisch reduziert werden. Statt wolkiger Versprechen muss es endlich ein Bekenntnis zu einer nachhaltigen Energiewirtschaft hin zu erneuerbaren Energien und höherer Energieeffizienz geben“, so WWF-Expertin Günther.
Stand: 16.09.2005