Es geht es um nichts weniger als eine zentrale Kompetenz: Erst wenn ein Mensch die Fähigkeit der Zuschreibung von Gedanken erlernt hat, beginnt er, sich selbst und die anderen Menschen als komplexe Personen zu modellieren und zu verstehen. Dies ist ein grundlegender Schritt für eine soziale Interaktion. Denn wenn man sich selbst Gedanken explizit zuordnen möchte, muss man wissen, wer man ist; genauer: Man benötigt einen expliziten Ich-Begriff.
Entwicklung zum Ich-Begriff
Wie aber erlernen wir ein explizites Verständnis, einen Begriff des Ich? Ich bin ein Mensch als biologisches Wesen, der in seiner Entwicklung zunächst ein Ich-Gefühl entwickelt und dann erst ein explizites Verständnis von sich selbst, einen Ich-Begriff. Damit gehen einem expliziten Verständnis verschiedene Formen von implizitem Verständnis meines Ich voraus.
Bei der normalen Entwicklung eines Kindes unterscheiden Forscher mehrere Phasen des Aufbaus von Ich-Vorstellungen. Erste Phase: Spätestens bei der Geburt etabliert sich das Ich-Gefühl aufgrund der Selbstwahrnehmung des eigenen Körpers: Ein Baby fühlt sich angenehm oder hungrig.
In der zweiten Phase entsteht das Ich-Gefühl als Urheber meines zielgerichteten Handelns: Im dritten Lebensmonat lernt ein Baby das zielgerichtete Greifen.
Vom Selbst zum Gegenüber
In der dritten Phase wird das Ich wird als Element von geteilter Aufmerksamkeit und als Zentrum der eigenen räumlichen Perspektive wahrgenommen: Ein Kleinkind lernt mit neun Monaten zu erfassen, dass der Vater auf denselben Ball schaut wie es selbst. Mit 14 Monaten kann es dann darüber hinaus verstehen, dass die Mutter Dinge nicht sehen kann, die es selber jedoch sieht.
In der vierten Phase etabliert sich das Ich als ein besonderes Objekt, welches ich aus der normalen Beobachterperspektive im Spiegel erkennen kann: Den berühmten Spiegeltest bestehen Kleinkinder normalerweise im 18. Lebensmonat. In der fünften Phase schließlich entsteht das Ich als Subjekt mit einem expliziten Selbstbild, das sich selbst seine Wünsche, Überzeugungen, Hoffnungen etc. zuschreibt und in der Lage ist, anderen Menschen andere Wünsche und Überzeugungen zuzuordnen (Theory-of-Mind Fähigkeit).
RUBIN / Albert Newen, Leon de Bruin
Stand: 29.04.2011