Die Entwicklungsländer stehen bei den reichen Staaten und den internationalen Entwicklungsagenturen, wie Weltbank und Internationaler Währungsfonds, inzwischen mit 2,5 Billionen Dollar in der Kreide. Eine Summe, von der nicht nur die Anhänger der Kampagne „Erlaßjahr 2000“ sagen, daß sie nie wieder zurückgezahlt werden kann, und daher abgeschrieben werden sollte.
Doch die eigentliche Last ist nicht der hohe Schuldenberg, sondern die enormen Zins- und Tilgungsleistungen. Die betragen pro Jahr etwa 250 Milliarden Dollar – das entspricht den jährlichen Ausgaben der Bundesregierung, dem Etat also einer der größten Wirtschaftsmächte der Welt. Mosambik müßte zwölf Jahre lang ununterbrochen sämtliche Exporteinnahmen an die Gläubiger überweisen, um die Schulden loszuwerden.
Um Zinsen und Tilgungsleistungen zu zahlen, sind die Schuldnerländer gezwungen, ihre Exporte zu steigern. Besitzt das Land keine mineralischen Rohstoffe, so werden Holz oder landwirtschaftliche Produkte ausgeführt. Die Folgen sind Abholzungen in großem Umfang und eine Ausbeutung der Böden durch zu intensive Landwirtschaft. Um diese Entwicklung aufzuhalten, wäre ein Schuldenerlaß sinnvoll, da er den finanziellen Druck nehmen und ressourcenschonende Landwirtschaft wieder möglich machen würde.
Die Schuldenkrise begann in den 70er Jahren: westliche Banken und Staaten verhießen mit einer kreditfinanzierten Entwicklungszusammenarbeit den Weg aus der Armut. Als die Zinsen anstiegen und mit den Rohstoffpreisen auch die Exporterlöse in den Keller fielen, tappten die Länder in die Schuldenfalle: Neue Kredite waren nötig, um die alten zu bezahlen – die Entwicklung stockte und kam schließlich zum Erliegen.
Schon 1996 riefen Weltbank und Internationaler Währungsfonds (IWF) deshalb die sogenannte HIPC-Initiative für die ärmsten und hochverschuldeten Länder ins Leben. Die Bedingungen für einen Schuldenerlaß und damit die Länder, denen der Schuldenerlaß gewährt werden sollte, waren umstritten. Mit dem Kölner Gipfel vom 19. und 20.Juni 1999 einigte man sich auf folgende Modifikation der Kriterien: Die Länder müssen Schulden in Höhe von mindestens 150 Prozent der Exporterlöse haben und drei Jahre Wohlverhalten in der Wirtschaftspolitik gezeigt haben. Vorher lagen diese Kriterien bei 250% und sechs Jahren – nur sechs Länder wären in den Genuß des Schuldenerlasses gekommen.
Die neuen Kriterien werden von 41 Staaten mit einer Gesamtschuld von 227 Milliarde US-Dollar erfüllt. Die meisten dieser Länder liegen in Afrika; in Asien gehören Vietnam und Laos dazu, im karibischen Raum Honduras, Nicaragua, Haiti. 36 zu Reformen bereiten Staaten soll nun ein Teil der Kredite erlassen werden – nach Angaben des BMZ bis zu 70 Milliarden Dollar. Finanziert werden soll der Schuldenerlaß vor allem aus Goldverkäufen des IWF.
Kritik gibt es von zwei Seiten: Wirtschaftsinstitute bemängeln, daß ein Schuldenerlaß die Kreditwürdigkeit der Länder untergrabe und private Investitionen hemme. Statt Schulden zu erlassen, müßten Exporterlöse maximiert werden. Hilforganisationen hingegen geht die Initiative nicht weit genug. Die Schuldenquote müsse weiter gesenkt, ein internationales Insolvenzrecht entwickelt werden, fordert die Kampagne „Erlaßjahr 2000“. Auch die Idee der Gegenwertfonds sei nicht aufgegriffen worden, die Entwicklungsländer verpflichtet hätte, ihre Schulden in lokaler Währung bereitzustellen: für Bildung, Gesundheit und Armutsbekämpfung.
Ein weiteres Argument gegen den Schuldenerlaß nennt die in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba arbeitende UN-Wirtschaftskommission für Afrika (ECA). Sie kommt zu dem Ergebnis, daß das Kapital, das die Afrikaner in Übersee besitzen, 39 Prozent des Bruttosozialproduktes des gesamten Kontinents ausmacht. Für Asien beträgt diese Quote nur sechs Prozent.
Die UN-Kommission rechnete bei einer Tagung afrikanischer Finanz- und Wirtschaftsminister Anfang Mai in Addis Abeba vor, daß die Kapitalflucht aus den hochverschuldeten Ländern Schwarzafrikas in den Jahren 1982 bis 1991 rund 22 Milliarden Dollar betragen habe. Dies entspräche etwa der Hälfte der Investitionsmittel, die benötigt würden, um in Schwarzafrika ein Wirtschaftswachstum anzustoßen. Ein Großteil des Geldes, das aus Afrika auf Privatkonten im Ausland fließe, stamme zudem nicht aus Geschäftseinnahmen, sondern aus „illegalen Abzweigungen“ aus öffentlichen Töpfen, so die ECA – sprich: aus Griffen in die Staatskassen. Um die Entschuldung genau dieser Staatskassen aber ging es in Köln.
Stand: 22.02.2002