Geologie/physische Geographie

Schweremessung in der Schwerelosigkeit

Eine Störung liefert Genauigkeit

Während die Schwerewerte der Landgravimetrie detaillierte Informationen über die Materialzusammensetzung im Erdinneren liefert, ist es der Fluggravimetrie vor allem möglich, von regionalen Schwankungen des Schwerefeldes auf Bewegungen von Land- und Wassermassen zu schließen. Um die Prozesse aber in einem globalen Kontext interpretieren zu können, müssen die erhobenen Daten zu einem zusammenhängenden Bild des Erdschwerefeldes zusammengefügt werden. Die einzige Möglichkeit ein solches globales Modell aufzeichnen zu können, ist ein Gravimeter, der seine Daten mit noch größerem Überblick sammelt – aus dem Weltall.

Die Anziehungskraft der Erde hält die zahlreichen Satelliten, die mittlerweile die Erde umkreisen, auf ihren Bahnen. Gäbe es sie nicht, würden sie in den Weltraum hinaus geschleudert werden. Je näher die Umlaufbahn eines Satelliten an der Erde ist, desto stärker wirkt die Erdschwere auf ihn ein. Doch dieser Einfluss hat auch seine Schattenseiten: Denn die Flugbahn des Satelliten reagiert auch auf alle Dellen und Beulen des Geoids, die er überfliegt. Er passt seine Flugbahn jeder Veränderung im Schwerefeld an und fliegt dadurch quasi in Schlangenlinien um die Erde.

Genau diese Störung der Flugbahnen macht sich jedoch das GeoForschungsZentrum Potsdam (GFZ) bei ihren Satellitenmissionen zur Vermessung des Schwerefeldes zu Nutze. Um möglichst gute Datenmengen zu bekommen darf der Satellit für diese „Bahnstörungsmethode“ nur in geringer Höhe fliegen, da sonst die Ausstrahlung der Erdschwere zu schwach wird.

Ein CHAMPion für die Wissenschaft

Der erste Satellit zur Schweremessung: der GFZ-1 © GFZ Potsdam

Im April 1995 schießt das GFZ den fussballgroßen Satelliten GFZ-1 auf eine Umlaufbahn von 390 Kilometer Höhe. Seine Funktion ist jedoch darauf beschränkt, als fliegender Spiegel passiv die Laserstrahlen von Bodenstationen zurückzusenden und damit die Distanz zu messen. Die zwölf Laserstationen weltweit können allerdings nur eine sehr lückenhafte Bahnverfolgung erreichen, entsprechend ungenau sind dadurch die Ergebnisse. Darüber hinaus wird die Bahn des Satelliten von den zeitlich variierenden Kräften der Sonne, des Mondes und anderen Planeten gestört und von der Atmosphärenreibung, sowie dem Strahlungsdruck abgelenkt.

Erst das Folge-Projekt CHAMP erreicht den Durchbruch für die satellitengestützte Schwerefeldmessung. Im Juni 2000 wird der Satellit von einer russischen Trägerrakete ins All transportiert, um sich auf seiner Starthöhe von 452 Kilometern einzupendeln und anschließend monatlich der Erde zwei Kilometer näher zu kommen. Er ist erstmals in der Lage durch die Kombination seiner Instrumente alle Störfaktoren der Laufbahn isoliert aufzuzeichnen, dadurch die Signale des Erdschwerefeldes gefiltert zu empfangen und die Auswertung der Messwerte zu verbessern.

Der CHAMPion im All - GFZ Satellit CHAMP © GFZ Potsdam

Entscheidend für die Messungen ist wiederum eine exakte Positionsbestimmung des Satelliten selbst, wofür ein GPS-Empfänger eingebaut wurde. Mithilfe von bis zu zehn Navigationssatelliten in 20.000 Kilometer Höhe kann CHAMP seine Lage so präzise bestimmen. Im Gegensatz zu den meisten anderen Satelliten überfliegt er auf seiner Umlaufbahn fast exakt auch die Pole. Wie eine Schnur um einen Ball wickeln sich die Bahnen CHAMPS so um die Erde, dass er in 22 Umkreisungen innerhalb von 36 Stunden die Erdoberfläche einmal komplett und lückenlos abtastet.

Noch 1999 hatte ein deutsch-französisches Forscherteam für das Schwerfeldmodell GRIM5-S1 über Jahre hinweg Ergebnisse 21 verschiedener Satelliten auswerten müssen. CHAMP alleine sammelt in den Jahren 2000 und 2001 alle Satellitendaten, die für das Nachfolgemodell EIGEN 2 nötig sind.

Die höchstmögliche Präzision erreicht das GFZ-Team um Christoph Reigber, indem es die Satellitendaten regional mit den vorhandenen Messergebnissen der Land- und Flugzeuggravimetrie verrechnet. Damit erhöht sich die Auflösung von 1.000 Kilometer auf 333 Kilometer. Durch die gesteigerte Präzision der Messungen erreichen die Instrumente bei den Schwerewerten eine Genauigkeit von ± 0,5 mGal und können damit die Höhenunterschiede des Geoids bis auf fünf Zentimeter genau bestimmen. Gegenüber den bisherigen Satellitendaten zur Bestimmung des Schwerefeldes bedeutet das immerhin eine Steigerung um den Faktor zehn.

Schwere wiegt die Geschichte der Kontinente

Durch die genauen Schwerewerte stehen den Wissenschaftlern jetzt völlig neue Anwendungsmöglichkeiten offen. Die Daten enthüllen sonst unzugängliche Informationen etwa über die Dicke und Lage der Erdkruste, die in die Forschung über Plattentektonik und Krustenbewegung einfließen. Ein regional geringer Schwerewert wie beispielsweise über Skandinavien deutet auf ein regionales Massendefizit hin. Die auf dem Erdmantel wie ein Korken schwimmende Kruste hat sich dort stark unter die Normalhöhe des Ellipsoids abgesenkt, womit ein negativer Schwerewert an der Oberfläche entstand.

Auf dem neuesten Schweremodell EIGEN-CHAMP03S aus Daten der CHAMP-Mission, ist deutlich ein blaues Schweredefizit über der Hudson-Bay in Nordamerika und ein blauer Schatten über Skandinavien zu erkennen. Die negativen Werte deuten auf ein Massendefizit hin, dass in beiden Fällen durch eine Absenkung der Erdkruste entstanden ist. Kilometerdicke Eisschilde haben in der letzten Eiszeit die Platten in den Mantel gedrückt, und heben sich nach der Abschmelze wieder hinaus. Die Skandinavische Platte ist dabei kurz vor ihrem Ziel, in 2.000 Jahren wieder eine ebene Fläche auszubilden. Die Erdkruste unter der Hudson-Bay dagegen liegt so tief, dass es wohl noch einige hunderttausend Jahre dauern wird. © GFZ Potsdam

Die Ursache für diese Absenkung findet sich in der Erdgeschichte: Noch vor 10.000 Jahren – in der letzten Eiszeit – drückte das Gewicht eines gewaltigen Eisschildes von zwei bis drei Kilometer Dicke auf den „Korken“ des nordeuropäischen Festlands. Unter dem unvorstellbaren Gewicht senkte sich die Erdkruste ab. Mit dem Abschmelzen der Inlandvereisung schwand die Belastung und die Erdkruste begann sich langsam wieder zu heben – bis heute ist sie um 270 Meter aufgestiegen. Wie schnell diese Hebung vonstatten geht, und ob sie auch in Zukunft weiter anhalten wird, können Geoforscher von Schwerewerten ableiten: Die Veränderungen der Werte verdeutlichen, dass Skandinavien noch immer mit rund einem Zentimeter pro Jahr ansteigt und das Defizit zur Normalschwere von -30 mGal zeigt zudem, dass der Kontinent vermutlich noch weitere 20 Meter Anstieg „in petto“ hat.

  1. zurück
  2. |
  3. 1
  4. |
  5. 2
  6. |
  7. 3
  8. |
  9. 4
  10. |
  11. 5
  12. |
  13. 6
  14. |
  15. 7
  16. |
  17. 8
  18. |
  19. 9
  20. |
  21. 10
  22. |
  23. weiter


Stand: 25.11.2005

Keine Meldungen mehr verpassen – mit unserem wöchentlichen Newsletter.
Teilen:

In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Eine Kartoffel im Weltall
Den Kapriolen der irdischen Schwerkraft auf der Spur

Erst war die Erde eine Scheibe …
Warum die Menschen trotzdem niemals runterfallen

…dann ein Ei …
Wenn die Erde Karussell fährt

… und schließlich sogar eine Kartoffel?
Die Natur will ins Gleichgewicht

Wo ist Null?
Was ist schon „Normal“?

Auch im Himmel kann es „schwer“ sein
Aus der Ferne sieht man besser

Schweremessung in der Schwerelosigkeit
Eine Störung liefert Genauigkeit

Wettrennen im All bringt Daten auf die Erde
Je kleiner die Schritte desto größer der Fortschritt

Leichte Beeinflussung eines Schwergewichts
Wie schwer ist Wasser?

Die Zukunft – ein Wackelpudding?
Alte Geheimnisse und neue Welten

Diaschauen zum Thema

keine Diaschauen verknüpft

News zum Thema

keine News verknüpft

Dossiers zum Thema

Erdbeben - Vorhersagbar oder aus heiterem Himmel?