Ziemlich genau zehn Jahre ist jetzt her, dass ein internationales Forscherteam auf dem Gelände der russischen Polarstation Wostok einen 3.623 Meter langen Eisbohrkern geborgen und analysiert hat – ein wahrer Schatz für Polarforscher und Biologen.
Als der Bohrer damals zum Stillstand kam, war seine Spitze nur noch knapp 150 Meter von der Oberfläche des Wostok-Sees entfernt. Weiter traute man sich damals nicht vor, um eine Verunreinigung des unberührten Wassers mit Chemikalien oder Mikroben zu verhindern. Ein Jahr später manifestierte dann sogar ein internationales Abkommen den endgültigen Bohrstopp – bis auf Weiteres. Denn mittlerweile ist längst wieder Bewegung in das Projekt gekommen. Russische Forscher verkündeten im Jahr 2004, dass sie den See nun endgültig anbohren wollen.
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Eine Frage der Ehre
Gründe für den neuen russischen Vorstoß gibt es viele. „Die Russen möchten für eine Sensation sorgen. Vielleicht ist der Lake Wostok ja ein völlig steriles Gewässer. Vielleicht existiert dort, unter extremen Bedingungen, aber auch unbekanntes Leben“, erklärte der Innsbrucker Mikrobiologe Roland Psenner im August 2004 in der Wochenzeitschrift Zeit.
Und der Ozeanograph Mahlon „Chuck“ Kennicutt II von der Texas A&M Universität ergänzte im Dezember 2007 in einem Interview mit ABC News: „Die Russen haben dieses Projekt zum Herzstück ihres Antarktisprogramms gemacht. Das ist jetzt eine Sache des Nationalstolzes und der Ehre.“
Sensibles Ökosystem
Doch was ist eigentlich daran so schlimm, den See rund 4.000 Meter unter der Eisoberfläche anzubohren? Dazu noch einmal Psenner: „Für die Wissenschaft wäre es eine Katastrophe, gelängen beim Anbohren Bakterien oder Abrieb vom Bohrkopf in den See. Die Russen haben sich ja schon früher bis auf 150 Meter ans Wasser heran gegraben. Nun ist das alte, 3.600 Meter tiefe Bohrloch mit FCKW und Kerosin gefüllt, damit es nicht zufriert. Dort Wasser hochzukriegen, ohne den See zu kontaminieren, ist schwierig. Der Bohrkopf müsste absolut steril sein.“
Gelangen bei dem Vorhaben tatsächlich Verunreinigungen oder gar Mikroben in den Lake Wostok, ist die einmalige Chance vertan, ein Gewässer von Grund auf zu erforschen, das noch nie vom Menschen beeinflusst wurde.
Wann ist die Zeit reif?
Die Russen selber sind überzeugt davon, dass sie mit ihrer Bohrung dem See und seinen Bewohnern nicht schaden werden – und dass sie die nötige Technik für den Vorstoß ins Unbekannte parat haben. Kennicutt, der selber an verschiedenen Programmen zur Erforschung der Antarktis beteiligt ist, hält die Vorgehensweise allerdings für problematisch. „Es gibt eine Menge alternativer und weniger sensibler Orte, an denen man die Technologie erst einmal testen sollte“.
Für ihn ist die Zeit einfach noch nicht reif für eine Erkundung des Lake Wostok. Und auch der Ozeanograph David Karl von der Universität von Hawaii warnt: „Wie bringt man eine Wasserprobe nach oben, ohne den See zu kontaminieren? Niemand will doch auf seinem Grabstein stehen haben: Ich verseuchte den Lake Wostok.“
Ob diese oder ähnliche Argumente allerdings die russischen Wissenschaftler und Offiziellen von ihrem Vorhaben abhalten können, ist mehr als fraglich. Nach eigenen Angaben haben sie alle Vorgaben des internationalen Antarktischen Vertragssystem (Antarctic Treaty System) erfüllt. Am Ende ist es deshalb eine nationale russische Entscheidung, ob sie mit der Bohrung weitermachen oder nicht.
Countdown bis 2010
Es ist daher durchaus wahrscheinlich, dass russisches Gerät schon bald die fehlenden Meter überwindet und in den Lake Wostok vordringt. Wann das sein könnte: „Wir werden den See 2010 definitiv anbohren, und zwar mit russischer Bohrtechnik“, wird Waleri Lukin, der Direktor der russischen Antarktis-Expedition, im Wissenschaftsmagazin „Nature“ zitiert.
Doch es gibt vielleicht auch noch eine andere Strategie, um den Geheimnissen der verlorenen Welt unter dem ewigen Eis auf die Spur zu kommen. An ihr arbeitet die NASA bereits seit einigen Jahren…
Stand: 07.11.2008