Steht man in 243 Meter Höhe oben im neuen Rathaus in Tokyo, um die Aussicht bis zum Fujiyama zu genießen, bemerkt man unter Umständen (etwa an der Bewegung des Wasserspiegels in einem Glas), dass das Gebäude hin und her schwankt. Spätestens dann wird einem schlecht und man möchte das Gebäude umgehend verlassen.
Die im Aussichtsraum ausgestellten Fotos von den Folgen des letzten Erdbebens in Taiwan tragen nicht unerheblich zu dieser Entscheidung bei. Dabei soll gerade dieses Schwanken eine Katastrophe wie Erdbeben oder Taifune verhindern. Mithilfe ausgeklügelter Bauweisen, bei denen die Gebäude tief im Boden verankert werden und Stahlkonstruktionen bei Erschütterungen auf elastisch ausgelegten Fundamenten mitschwingen können, soll das Hochhaus bei einem Erdbeben geschützt sein. Das Material ist so gewählt, dass es bei einem Beben zwar mitschwingt, aber nicht zerreisst.
Allgemein wird in Japan Erdbebensicherheit beim Bau von Hochhäusern großgeschrieben. Kein Wunder, denn Japan zählt mit zu den am meisten gefährdeten Regionen der Welt. Gleich drei Erdplatten (die Eurasische, die Philippinische und die Pazifische Platte) treffen sich hier und erzeugen ständig Spannungen, wenn sie sich aneinander vorbeischieben. Diese ständige Gefahr durch Erdbeben hat die Japaner seit jeher in ihrer Bauweise beeinflußt.
Die traditionellen Holzhäuser etwa reagieren bei Schwingungen flexibler als starre Steinbauten, dazu wurden die Häuser meist sehr flach gehalten, etwa ein bis zwei Stockwerke. Und wer hat nicht die Assoziation von Papierwänden, die bei einem Einsturz niemanden verletzen, wenn er an Japan denkt? Bei einem Stadtbummel durchs heutige Tokyo findet man allerdings eher wenige Bauten, deren Wände aus Papier bestehen und in einigen Vierteln sind vielstöckige Hochhäuser weitaus häufiger als niedrige Holzhütten. Ist das nicht ein Widerspruch? Kann nicht gerade diese Abwendung von den klassischen Bauweisen bei dem nächsten Erdbeben zu einem Desaster führen? Schließlich genügten 1985 gerade mal 90 Sekunden Erdbeben in Mexiko-City, um 400 Hochhäuser einstürzen zu lassen.
Doch Japan hat einfach keine Wahl. Im Gegensatz zu Ländern wie etwa Malaysia werden in Japan die imposanten Wolkenkratzer nicht aus Prestigegründen gebaut, sondern aus Platzmangel. Schließlich wollen in den Ballungsräumen immerhin 2.000 Menschen pro Quadratkilometer untergebracht werden. Daher ist es notwendig, die hohen Bauten möglichst sicher zu konstruieren. Bei der Optimierung des Schwingungsverhaltens etwa muss darauf geachtet werden, dass sich die verwendeten Materialien kombinieren lassen.
Ein flexibles Gerüst verbunden mit starren Steinmauern wird zum Beispiel kaum einem größeren Beben standhalten. Neben den schwingungsfähigen Träger-Materialien und Fundamenten sollte auch auf den Form des Gebäudes geachtet werden. U- und T-förmige Grundrisse etwa sind stärker gefährdet, als quadratische oder rechteckige Bauten. Besonders große Glasfronten wie Schaufenster schwächen ebenfalls die Festigkeit eines Gebäudes, sie dürfen nicht zu nahe an den labilen Eckpunkten des Gebäudes plaziert sein.
Stand: 22.06.2000