Besonders im als Schutzgebiet ausgewiesenen Südpolarmeer rund um die Antarktis finden viele Wale Zuflucht. Japan erkennt dieses Schutzgebiet jedoch nicht an, für die Walfänger sind die internationalen Gewässer daher reiche Jagdgründe. Sea Shepherd bezeichnet den Walfang in der Region als Wilderei. Die Antarktis hat jedoch keine Küstenwache – illegaler Walfang und gesetzeswidrige Fischerei haben dort kaum rechtliche Konsequenzen.
Japanische Walfänger und die Schiffe von Sea Shepherd lieferten sich darum mitunter regelrechte Seeschlachten. Die einen wollen Wale erlegen – die anderen setzen alles daran, sie zu schützen. Die Wal-Schützer sabotieren Schiffschrauben, schleudern Stinkbomben und blockieren Fahrtrouten. Die Jäger verteidigen sich mit Wasserwerfern, Netzen und Blendgranaten.
Ganz im Sinne der Charter for Nature?
Oft kam es dabei zu Kollisionen, wenn keine Partei der anderen auch nur um Haaresbreite ausweichen will – so etwa, als das Schnellboot „Adi Gil“ im Januar 2008 unter das Walfangschiff „Shonan Maru“ geriet und von der Crew aufgegeben werden musste. Sea Shepherds „Bob Barker“ geriet bei einer Blockade zwischen das Fabrikschiff „Nisshin Maru“ und einen Tanker und wurde beinahe zerdrückt.
Watson beruft sich auf die „Charter for Nature“ der Vereinigten Nationen von 1982: Diese fordert Nicht-Regierungsorganisationen und Privatpersonen auf „die Natur auch jenseits nationaler Jurisdiktion zu schützen und zu erhalten“, und zwar „in dem Ausmaß, in dem sie es vermögen“. Sea Shepherd arbeitet demnach als eine Art private Polizeitruppe, die die Rechte ihrer „Klienten“, der Wale, schützt. Das ICR dagegen bezichtigt Sea Sheperd offen als eine Gruppe von Piraten und Ökoterroristen.
Nur eine „gewaltfeie Bewegung“?
Und zumindest mit dem Image des Piraten spielen Watson und seine Mitstreiter ganz offen: Die Seeflagge von Sea Shepherd ist stark an eine Piratenflagge angelehnt, mit einem gekreuzten Hirtenstab und Dreizack anstelle von Knochen unter einem Totenschädel. Auch das entschlossene und geradezu uniformierte Auftreten der Gruppe und die militärische Bezeichnung von Kampagnen als „Operations“ wirken absolut kampfbereit. Watson beharrt jedoch darauf, Sea Shepherd sei eine „gewaltfreie Bewegung“, der jedoch oft mit Gewalt begegnet wird.
Ob umstritten oder zweifelhaft – die Aktionen von Sea Shepherd zeigen durchaus Wirkung: Die Beute der Walfänger in der Antarktis fiel seit 2007 von Jahr zu Jahr geringer aus, in keinem Jahr erlegten die Jäger die angestrebte Quote von rund tausend Walen pro Jahr. Mehr als einmal kehrte die japanische Walfangflotte vor dem geplanten Ende der Jagdsaison in die Heimathäfen zurück – Neptuns Navy machte ihnen die Arbeit zu schwer.
Der Konflikt geht weiter…
2013 kam dann ein Durchbruch: Der internationale Gerichtshof in Den Haag erklärte das japanische Walfangprogramm nach einer Anklage durch Australien für illegal. Die geringe Anzahl an wissenschaftlichen Publikationen rechtfertige nicht den Umfang der angeblichen Forschung. Ein Sieg für Sea Sheperd?
Leider nur vorrübergehend: Bereits in der Saison 2014/15 sollen die Waljäger für „nicht-tödliche“ Forschung in die Antarktis zurückkehren. Im Folgejahr dann soll in einem überarbeiteten Forschungsprogramm der Walfang „in vollem Umfang“ wieder aufgenommen werden. Das ICR macht kurioserweise ausgerechnet Sea Sheperd dafür verantwortlich: Die Aktivisten hätten den Walfang dermaßen behindert, dass nicht ausreichend Forschungsergebnisse erzielt werden konnten – weitere Arbeit sei deshalb nötig.
Die Flotte von Sea Shepherd bereitet sich im Oktober 2014, auf die „Operation Icefish“ vor, die am 1. Dezember starten soll. Da die Wale vorerst in Sicherheit sind, gilt diese Operation vor allem dem illegalen Fischfang in den antarktischen Gewässern. Die Aktivisten wollen aber auch die „nicht-tödlichen“ Aktivitäten der Walfänger genau beobachten. Wenn nötig, werden sie nicht zögern, ihre Klienten wieder zu verteidigen – mit allen nötigen Mitteln.
Ansgar Kretschmer
Stand: 31.10.2014