Im 19. Jahrhundert war der Fall klar: Wale und Robben galten in erster Linie als Lieferanten von Tran, das als begehrtes Lampenöl oder als wichtiger Schmierstoff für Maschinen zum Einsatz kam. Deshalb wurden die Meeressäuger von Armeen von Walfängern durch die Meere gehetzt und dadurch innerhalb weniger Jahrzehnte bis an den Rand des Aussterbens gebracht – und das alles ohne schlechtes Gewissen oder heftige Gewissensbisse. Die Natur wurde als ein reich bestückter Selbstbedienungsladen angesehen, den der Mensch nach eigenem Gutdünken nutzen konnte wie er wollte.
Heute, mehr als 100 Jahre später, sieht die Situation ganz anders aus: „Einen gedankenlosen Umgang und damit meistens eine sorglose Verschwendung unserer Natur können wir uns nicht mehr leisten. Das wäre das Gegenteil von Nachhaltigkeit.“ Das sagte Bundesumweltminister Sigmar Gabriel anlässlich der im Mai 2008 stattfindenden 9. Vertragsstaatenkonferenz über die biologische Vielfalt (COP 9) in Bonn.
Er betonte aber auch: „Die Wahrheit im Jahr 2008 ist: Wir sind immer noch auf dem falschen Weg. Wir müssen uns der unbequemen Frage stellen, ob wir weiterhin nur Berge von Papier mit wenig Inhalt produzieren oder ob wir unserer Verantwortung gerecht werden wollen.“
150 Arten verschwinden täglich
Denn trotz vieler Kampagnen und jahrelanger Naturschutzbemühungen sind es längst nicht mehr nur einzelne Arten, die in ihrem Bestand bedroht sind. Aktuellen Berechnungen zufolge verschwinden heute bis zu 150 Spezies für immer von der Erde – täglich.
Schuld daran ist noch immer vor allem der Mensch. Gnadenlose Jagd, Abholzen der Wälder, zunehmende Umweltverschmutzung und nicht zuletzt der vom Menschen-gemachte Klimawandel sind verantwortlich dafür, dass das Artensterben eine neue Dimension erreicht hat. „Von Naturkatastrophen abgesehen ist der heutige Verlust an Tierarten der größte in der Geschichte der Erde“, meint beispielsweise Phil Rainbow vom Natural History Museum in London. Und er ist nicht der Einzige, der das Schicksal der Tiere für verzweifelt hält.
Sechstes Massenaussterben der Erdgeschichte?
Doch es wird vermutlich noch viel schlimmer kommen: „Der Klimawandel ist für die biologische Vielfalt eine Zeitbombe. Bei einem Anstieg der globalen Erwärmung um mehr als 1,5 bis etwa 2,5 Grad gegenüber heutigen Werten wären 20 bis 30 Prozent der Arten weltweit vom Aussterben bedroht“, beschreibt die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesumweltministerium, Astrid Klug, die wichtigsten Ergebnisse aus dem IPCC-Report 2007.
Genarchen als letzte Rettung
Doch kann man das sechste große Massenaussterben der Erdgeschichte noch in den Griff bekommen? Und wenn ja, wie? Darüber wurde vom 19. bis 30. Mai 2008 auf dem Bonner Artenschutzgipfel mit über 5.000 Vertretern aus 190 Ländern ausführlich diskutiert. Trotz einer kräftigen Finanzspritze für den Artenschutz – allein Deutschland stellt in den nächsten Jahren mehrere Milliarden Euro zur Verfügung – und vielen ambitionierten Ansätzen oder Projekten könnte es für viele Tiere, Pflanzen und Pilze längst zu spät sein, wenn die Maßnahmen greifen.
Um Schadensbegrenzung zu betreiben und zumindest die genetische Vielfalt der heute auf unserem Planeten lebenden Organismen zu retten, rücken in den letzten Jahren zum Teil futuristisch anmutende Konzepte in den Mittelpunkt des Interesses: Tiefkühlzoos, Saatgut-Bibliotheken, Genbanken.
Stand: 30.05.2008