Viren sind die häufigste biologische Einheit unseres Planeten – und sie kommen in nahezu allen Lebensräumen unseres Planeten vor. Schätzungen zufolge könnte die Zahl der Viren die aller lebenden Zellen um das Zehn- bis Hundertfache übertreffen. Doch bisher ist nur ein verschwindend geringer Bruchteil der viralen Vielfalt überhaupt bekannt.
Virale Mitbewohner
Das gilt auch für uns buchstäblich so nahe Lebensräume wie unsere eigene Haut. Dort stießen Forscher bei einer „Rasterfahndung“ nach Virengenen auf mehrere hundert Millionen virale Gensequenzen. 90 Prozent davon sind der Wissenschaft bisher völlig unbekannt. Die Daten zeigten aber, dass jeder Körperteil seine eigene Population von Viren beherbergt, ähnlich wie auch beim bakteriellen Mikrobiom. Und selbst in unserem Darm tummeln sich noch unerkannte Viren. Eines von ihnen, das den Darmkeim Escherichia coli befällt, haben Forscher erst kürzlich aufgespürt.
Doch die allermeisten dieser viralen Mitbewohner auf und in unserm Körper sind keineswegs Krankheitserreger – wir sind nicht einmal ihr Wirt. Stattdessen befallen diese Viren vor allem Bakterien und nutzen deren Zellen als Vermehrungsfabriken. Von solchen Bakteriophagen könnte es ersten Erkenntnissen nach noch Millionen weitere in uns geben. Gegenüber dieser enormen Menge sind die Viren, die uns potenziell krank machen können, deutlich in der Unterzahl. Dafür sind ihre Auswirkungen auf unsere Gesundheit umso gravierender, wie die Corona-Pandemie gerade demonstriert.
Wirte im gesamten Stammbaum des Lebens
Doch Viren gibt es nicht nur in uns Menschen – das Wirtspektrum der Viren erstreckt über den gesamten Stammbaum des Lebens. Es gibt kaum einen Organismus, der nicht von Viren befallen wird. Die Spanne reicht von zellkernlosen Archaeen und Bakterien über eukaryotische Einzeller, Insekten und andere Wirbellose bis hin zu den Wirbeltieren und dem Menschen. Auch Algen und nahezu alle höheren Pflanzen haben spezifische Viren. Das erste Virus, dessen Zusammensetzung Wissenschaftler zumindest in Teilen entschlüsseln konnten, war im Jahr 1935 das Tabakmosaikvirus – ein Virus, das Tabakpflanzen krank macht.
Jede einzelne Virenart ist jedoch meist auf nur einen Wirt oder eine eng verwandte Organismengruppe spezialisiert. Deshalb sind die Millionen Bakteriophagen in unserem Körper für uns harmlos – sie haben es nur auf unser bakteriellen Mitbewohner abgesehen. Und auch Viren, die wirbellose Organismen oder Pflanzen krankmachen, können uns nicht befallen. „Solche Barrieren erscheinen plausibel, denn Organismen, die evolutionär weit auseinanderliegen, unterscheiden sich auch in stark in ihrer Zellbiologie“, erklärt Arshan Nasir von der University of Illinois. „Das macht es für ein Virus schwer, sich in diesen so andersartigen Umgebungen zu vermehren.“
Vom Tiefengestein bis in die Atmosphäre
Die Vielfalt ihrer Wirte hat es den Viren ermöglicht, sich in nahezu alle Lebensräume der Erde auszubreiten. Man findet sie in fast allen Böden und terrestrischen Ökosystemen, aber auch in Gewässern von der kleinsten Pfütze über unser Abwasser bis in die Weiten der Ozeane. Allein jeder Tropfen Meerwasser enthält schon mehr als zehn Millionen Viren. Mit der Meeresgischt, aber auch dem Wüstenstaub werden Viren sogar bis hoch in die Atmosphäre geschleudert.
„Jeden Tag schweben dadurch mehr als 800 Millionen Viren pro Quadratmeter in der atmosphärischen Grenzschicht“, erklärt Curtis Suttle von der University of British Columbia. Dort, in 2,5 bis drei Kilometer Höhe, werden diese schwebenden Viren mit den Luftströmungen rund um den Globus verteilt. „Es ist durchaus wahrscheinlich, dass ein Virus auf einem Kontinent in die Luft gerissen wird und dann auf einem anderen wieder landet“, so der Forscher. Das erklärt auch, warum viele Viren sich selbst dann genetisch gleichen, wenn sie tausende von Kilometern weit voneinander entfernt gefunden wurden.
Und selbst in den lebensfeindlichsten Umgebungen unseres Planeten finden sich Viren. So kommen sie in den subglazialen Seen der Antarktis, in heißen Quellen, hydrothermalen Schloten der Tiefsee oder den Gesteinsschichten mehr als einen Kilometer unter dem Meeresgrund vor. Dort, in der tiefen Biosphäre, könnten sie sogar den Hauptanteil der Biomasse ausmachen, wie Forscher aufgrund von Stichproben vermuten.
„Viren sind überall“, sagt Eddie Holmes von der University of Sydney. „Das zeigt, wie gewaltig die Virosphäre – das Universum der Viren – tatsächlich ist.“
Was aber ist ihr Erfolgsgeheimnis?