Sonne, Mond und Sterne – was die Himmelsscheibe von Nebra darstellt, ist intuitiv erkennbar: Es muss etwas mit dem Himmel zu tun haben. Die Scheibe ist denn auch das einzige Objekt der Bronzezeit oder früherer Zeitalter, das so eindeutige und auffällige Bezüge zur Astronomie aufweist. Sie gilt als die älteste konkrete Himmelsdarstellung der Welt. Die ältesten konkreten Himmelsabbilder der Ägypter sind rund 200 Jahre jünger.
„Natürlich gibt es ältere Abbildungen des Sternenhimmels, zum Beispiel im Alten Reich Ägyptens“, erklärt der Astronom Wolfhard Schlosser von der Ruhr-Universität Bochum. „Aber diese zeigen rasterartig-schematische Sterndarstellungen rein ornamentalen Charakters.“ Die Himmelsscheibe von Nebra dagegen scheint ein erstaunlich realistisches Abbild einer ganz konkreten Himmelssituation zu sein. Aber welcher? Und wozu diente diese schon damals wertvolle Scheibe?
Siebengestirn als Frühlings-Anzeiger
Einen ersten Hinweis gibt die auffällige Punktgruppe oberhalb von Mondsichel und Goldscheibe: Diese sieben Punkte stellen nach Ansicht der meisten Archäo-Astronomen die Plejaden dar – das Siebengestirn. Dieser offene Sternhaufen ist am Nachthimmel im Sternbild Stier auch mit bloßem Auge zu erkennen. Er war daher schon im Altertum bekannt und wurde genutzt, um bestimmte Zeiten im Jahresverlauf zu markieren.
Vor rund 3600 Jahren, zur Zeit der Himmelsscheibe, waren die Plejaden von Frühjahr bis Herbst am Himmel sichtbar. Sie gingen jedes Jahr um den 10. März erstmals in der Abenddämmerung auf und gingen im Oktober in der Morgendämmerung ein letztes Mal unter. Ihr Aufgang markierte für viele Bronzezeitkulturen den Frühlingsbeginn und war das Signal, mit der Aussaat zu beginnen. Der Untergang dagegen galt als Zeichen für das Ende des Erntejahres. „Die Plejaden sind Kalender-Sterne ersten Ranges“, erklärt Schlosser.
Astronomische Gedächtnisstütze
Es liegt also nahe, dass auch die Erschaffer der Himmelsscheibe mit dieser Punktgruppe das Siebengestirn darstellten. Dass die Plejaden auf der Scheibe neben der Mondsichel und der runden Vollmond oder Sonne darstellenden Scheibe stehen, ist dabei kein Zufall, wie Schlosser erklärt: Wenn das Siebengestirn bei seinem Aufgang im Frühjahr in Konjunktion zum Mond stand, dann hatte dieser gerade Neumond hinter sich und bildete daher eine Sichel. Im Herbst dagegen trat eine Konjunktion von Plejaden und Mond immer dann auf, wenn Vollmond herrschte.
Die Himmelsscheibe könnte ihren bronzezeitlichen Nutzern als kalendarische Gedächtnisstütze gedient haben – als astronomisches Memogramm für den Frühlingsanfang. Es läge nahe, dass auch die anderen 25 Goldpunkte auf der Scheibe reale Sternbilder darstellen, doch das ist seltsamerweise nicht der Fall. Stattdessen scheinen die Punkte mit Bedacht so verteilt, dass sie möglichst keine Muster bilden.
„Die Bronzescheibe zeichnet sich durch eine geradezu anomale ‚Distanzwahrung‘ der Objekte aus“, erklärt Schlosser. Seiner Ansicht nach stellen diese Punkte zwar durchaus Sterne dar, sollen aber nur andeuten, dass es um den Himmel geht. Konkrete Sterne sind – mit Ausnahme der Plejaden – nicht gemeint. Doch Frühlingsanfang und Siebengestirn sind noch längst nicht alles, was die Bronzezeit-Scheibe über den Himmel verrät…
Nadja Podbregar
Stand: 28.11.2014