Neurowissenschaften

Sind wir alle ein bisschen bilingual?

Zwei- und Mehrsprachigkeit in Deutschland und der Welt

Lars beherrscht seit seiner Kindheit Französisch und Polnisch. Maria besucht in Ägypten eine deutsche Schule – mit ihren Eltern spricht sie Deutsch, im Alltag umgangssprachliches Arabisch. Sina hat zwei Jahre in Schottland gelebt, ihr Freund war drei Monate im ERASMUS in Italien – sie alle beherrschen mehr als eine Sprache fließend. Aber sind sie auch alle bilingual?

Schild in Kamerun
Dieses Schild stammt aus Kamerun – der Heimat von 230 Sprachen. © Ganakoh/CC-by 4.0

Diese Frage lässt sich schwer beantworten, denn die Definition der Mehrsprachigkeit ist umstritten. Die meisten Linguisten glauben jedoch, dass alle bilingual sind, die mehr als eine Sprache beherrschen – egal in welchem Alter, wie lange oder in welchem Kontext diese erlernt wurde. „Menschen, die mehrsprachig sind, können zwei oder mehr Sprachen in mündlicher, manueller oder schriftlicher Form […] verstehen und verwenden“, definiert auch das Internationale Expertengremium für mehrsprachige kindliche Sprachentwicklung.

Multilinguale Welt, multilinguales Deutschland

Bilingualität ist demnach weit verbreitet: 60 bis 75 Prozent der Menschen weltweit sprechen zwei Sprachen, wie eine Befragung der Online-Plattform Statista zeigt. Auch ein Großteil der Deutschen beherrscht mehrere Sprachen: Etwa 40 Prozent geben an, zwei Sprachen zu beherrschen. Ein weiteres Viertel spricht fließend drei oder sogar noch mehr Sprachen.

Zweisprachler haben diese auf unterschiedlichen Wegen erlernt: Einige Kinder leben beispielsweise in Grenzgebieten. Andere unterhalten sich zu Hause mit Eltern und Geschwistern auf einer Sprache, etwa Arabisch, in der Schule oder im Kindergarten hingegen sprechen sie eine andere Sprache, etwa Deutsch. Am häufigsten sprechen diese sogenannten „lebensweltlichen Zweisprachler“ in Deutschland Russisch, Türkisch und Polnisch.

In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Besser bilingual?
Wie Fremdsprachen unser Gehirn und Verhalten beeinflussen

Sind wir alle ein bisschen bilingual?
Zwei- und Mehrsprachigkeit in Deutschland und der Welt

Zweisprachigkeit – eine geheime Superpower?
Die vielen Vorteile der Bilingualität

Machen Fremdsprachen rationaler?
Welchen Effekt die Wahl von Mutter- oder Fremdsprache auf die Emotionen haben

„Hallo“ und „Hola“ im Hirn
Wie ändert Sprachenlernen die Gehirnstrukturen?

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Sprachensterben - Schleichendes Verschwinden unseres kulturellen Gedächtnisses

Schüler während des Sprachunterrichts
Manche Kinder lernen von klein auf eine Fremdsprache. © Metropolitan SchoolCC-by 3.0

Manche Zweitsprachen sind gleicher als andere

Andere Kinder, Jugendliche und Erwachsene erwerben dagegen erst im Bildungskontext neue Sprachkenntnisse, beispielsweise klassisch in der Schule oder in einem Sprachkurs. Das Interessante daran: Die im Rahmen solcher gezielten Schulungen erlernten Sprachen, wie beispielsweise Englisch oder Französisch, genießen häufig mehr gesellschaftliche Anerkennung und bringen viele Vorteile im Beruf.

Die häufig bei Menschen mit Migrationshintergrund vorkommende lebensweltliche Bilingualität und auch die dadurch erlernten Sprachen genießen dagegen in Deutschland teilweise wenig gesellschaftliches Prestige. Angehörige von Familien, die zu Hause Polnisch, Arabisch oder Türkisch sprechen, verbergen diese Fähigkeit deshalb teilweise sogar aus Scham.

Baby auf einer Wiese
Der Spracherwerb startet im Kindesalter. © Vanessa Kay/500xCC-by 4.0

Bilingualität – (k)ein Grund zur Sorge?

Eine weitere Sorge vieler bilingualer Eltern: Kleinkinder, die zwei Sprachen gleichzeitig erlernen, hinken kommunikativ hinter ihren Altersgenossen her. Genau genommen verschiebt sich bei ihnen die Phase der entscheidenden Sprachprägung nach hinten. Bilinguale Kinder beginnen dadurch meist später zu sprechen und machen auch bei der Erweiterung von Grammatik und Wortschatz langsamere Fortschritte, wie Studien belegen. „Betrachtet man den Wortschatz in den Einzelsprachen, dann zeigt sich, dass die Kinder darin über verschiedene Altersstufen hinweg einen geringeren Wortschatz haben als gleichaltrige Einsprachige“, erklärt die Patholinguistin Annegret Klassert.

Langfristig löst sich dieses Problem allerdings von selbst. Denn mit der Zeit holen die zweisprachigen Kleinkinder diesen Rückstand wieder auf. „Das Gehirn bilingualer Babys legt sich offenbar nach einem anderen Zeitplan auf eine Sprache fest als einsprachige“, erklärt Adrian Garcia-Sierra von der University of Washington. Vermutlich versuchen die Kinder, die unterschiedlichen Sprachlaute in der zweisprachigen Umgebung zu verarbeiten, indem sie lange flexibel bleiben.

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