Hans Jürgen Herrmann von der Universität Zürich gibt sich mit einer vorschnellen Übertragung des Modells auf „echte“ Dünen nicht zufrieden. Zu groß seien die Unterschiede zwischen den beiden Medien Wasser und Wind.
Revolutionäres Dünen-Modell
Das Urteil Herrmanns hat Gewicht, denn der Physiker hat selbst die Dünenforschung revolutioniert. Erstmals ist es ihm und seinen Kollegen gelungen, ein Computermodell zu erstellen, mit dem sich Ausbreitungsrichtung und Geschwindigkeit von Barchanen tatsächlich vorhersagen lassen. Der Clou an Herrmanns Arbeit: Alles was der Computer errechnete, konnten die Wissenschaftler an Dünen und durch Feldversuche in Brasilien und Marokko sowie durch Luftbilder verifizieren.
Zum einen bestätigte das Modell, was auch schon die Forschungen an den „Unterwasserdünen“ nahegelegt hatten: Höhe, Länge und Breite von Sicheldünen verändern sich stets proportional zueinander. Außerdem hatte man anhand von Messungen an realen Dünen das Strömungsverhalten des Windes über einer Sicheldüne untersucht. Wie bei den viel kleineren Rippeln sind Turbulenzen hinter einer Düne dafür verantwortlich, dass sich eine steile Kante auf der dem Wind abgeneigten Lee-Seite entwickelt, wo sich Sand ablagert. Auf der zum Wind hingeneigten flacheren Luv-Seite hingegen wird der Sand abgetragen
Theorie bestätigt, …
Herrmann konnte auch die Theorie bestätigen, nach der sich eine Düne hauptsächlich durch Saltation fortbewegt, also durch mittelgroße Sandkörner, die kurzzeitig empor gerissen werden und bei ihrem Aufprall viele hundert weiter Sandkörner anstoßen und ebenfalls aufwirbeln. Und er präzisierte: Ab einer Windgeschwindigkeit von 18 km/h bildet sich ein fünf bis 20 Zentimeter hoher Sandschleier über der Düne. Sie löst sich dadurch an ihrer Oberfläche geradezu auf und bewegt sich so vorwärts.
Durch das erstaunlich präzise Computermodell wurde auch die These widerlegt, dass Sicheldünen sich wie überkreuzende Wasserwellen, so genannte Solitone, verhalten. Ein Soliton entsteht, wenn eine schnellere Wasserwelle eine langsamere überholt, ohne dass die beiden in Wechselwirkung treten und Energie austauschen.
… Theorie widerlegt
Auch Barchanen können sich überholen. Jedoch zeigte Herrmanns Computermodell, bei dem im Laufe einer Simulation die Position jedes einzelnen Sandkorns bekannt ist, dass eine kleinere, und deshalb schnellere Sicheldüne eine größere, langsamere Düne geradezu „auffrisst“. Die kleine Düne nimmt dabei, von hinten kommend, Sand von der vorderen größeren Düne auf, bis sie selbst groß und langsam geworden ist. Zugleich schmilzt die ehemals größere vordere Düne zusammen und eilt schließlich, ausgelöst durch die geringere Größe, nach vorne davon.
Eine entscheidende Tatsache bewies das Computermodell außerdem. Durch Vegetation kann sich die Form einer Düne entscheidend verändern. Wichtig war diese Frage vor allem deshalb, weil man seit mehreren Jahren versucht, wirksame Mittel gegen Wanderdünen zu entwickeln. Denn in vielen von Desertifikation, anthropogener Wüstenbildung, betroffenen Gebieten sind schon ganze Dörfer den unerbittlich näher rückenden Sandwalzen zum Opfer gefallen.
Pflanzliche Barriere gegen Dünen
Herrmann zeigte, dass sich Sicheldünen oder Barchanen, die sich sehr schnell bewegen, durch zielgerichtet angepflanzte Vegetation in nahezu bewegungslose Parabeldünen umwandeln können. Parabeldünen sind schmaler als Barchanen, und ihre Krümmung ist genau umgekehrt. Der Bogen der Düne ist vom Wind abgewandt auf der Lee-Seite. Die meist mehrere hundert Meter langen Schweife „hängen hinterher“ und liegen auf der dem Wind zugewandten Luv-Seite. Wird die Vegetation beseitigt, kehrt sich die Düne erneut um und wird wieder zu einem mobilen Barchan.
Mit Hilfe von Herrmanns Computermodell wurde mittlerweile ein Patent entwickelt, um Wanderdünen dauerhaft zu stoppen. Bei der so genannten Bofix-Methode werden Wände oder Binsenzäune in einem grobmaschigen Raster in die Düne eingebracht. Die natürliche Dynamik zwischen Wind und Sand wird so unterbrochen. Gleichzeitig pflanzt man Bäume, die anfangs meist noch künstlich bewässert werden müssen. Nach wenigen Jahren und bei guter Pflege können sich ehemalige Wanderdünen so in grüne, natürliche Schutzzonen verwandeln.
Stand: 24.11.2006