Hauptmann Weszka und seine Männer sind in höchster Alarmbereitschaft. Die Straße vor ihnen ist mit Steinen versperrt, weit und breit niemand zu sehen – ein Sprengstoffattentat? In ähnlichen Situationen wurden deutsche Soldaten schon getötet. Doch die Anspannung löst sich. Ein Afghane mit seiner Schafherde kommt den Deutschen entgegen, passiert die Straße und räumt die Steine weg. Die sechs Jeeps haben wieder freie Fahrt. Entwarnung – dieses Mal.
Die Soldaten um Hauptmann Weszka haben selbst schon einige solcher Vorfälle erlebt, bisher stets ohne ernsthafte Gefahr. Sie wissen, sie sind verletzlich – dennoch steht schnell wieder der Tagesbefehl im Vordergrund. Und der lautet: „Ziviles Lagebild erstellen“. Weszka und sein Trupp sind für das Bundeswehr-Camp in Faisabad der „Draht nach außen“, zuständig für die zivil-militärische Kooperation, kurz Cimic. Sie halten Kontakt zu den Einheimischen und sondieren die Stimmung.
Hohe Erwartungshaltung
Im Dorf Karakamar sind sie nicht das erste Mal. Maulavi Arshad, der Chef des Ältestenrats kommt schnell zur Sache: „Ihr kommt das dritte Mal, aber geholfen hat uns noch niemand,“ beschwert er sich. Carsten Weszka beruhigt ihn: „Wir haben Ihren Antrag an die GTZ weitergeleitet. Und das ist der Grund weshalb wir hier sind.“
Karakamar braucht dringend eine Trinkwasserleitung. Da macht sich Ungeduld breit. Doch Hilfe ist in Sicht – dank einer ungewöhnlichen Kooperation.

Patrouille der Bundeswehr in Badakhshan © Edda Schlager
Die Bundeswehr, das ´Bundesministerium für Entwicklung und Zusammenarbeit BMZ und die GTZ arbeiten in Afghanistan nach einem gemeinsamen Hilfskonzept. Ein Provinz-Entwicklungsfond soll Projekte zur Dorfentwicklung fördern. Das Geld stellen die Bundesministerien für Verteidigung und Entwicklungshilfe bereit – rund 600.000 Euro im ersten Jahr. Die GTZ koordiniert die Projekte vor Ort.
Neu ist auch – die Dorfbewohner müssen sich mit eigenen Vorschlägen um das Geld bewerben. Und: Die Auswahl der Projekte trifft eine deutsch-afghanische Kommission. Auswärtiges Amt, BMZ, Bundeswehr und Bundesinnenministerium sind auf deutscher Seite dabei, dazu vier Vertreter der afghanischen Provinzregierung.
Neue Wege
„Das ist neu in Afghanistan, das haben die Afghanen bisher nicht erlebt“, erklärt Eberhard Halbach von der GTZ. „Sie kennen nur Militäreinheiten, die für sich Entscheidungen treffen, wo wann Hilfe geleistet wird, oder internationale Organisationen, die für sich entscheiden, wo wann eine direkte Hilfe geleistet wird. Aber dass ein Gremium existiert, an dem sie direkt beteiligt sind und mitwirken können, das hat’s bisher nicht gegeben, das ist neu, und das wird von allen Seiten befürwortet.“
Das Dorf Karakamar hatte sich bei dem Fond um den Bau der Trinkwasserleitung beworben. Rund 8.000 Euro soll sie kosten, ein Viertel davon übernehmen die Bewohner selbst. Jetzt überbringt Hauptmann Weszka die gute Nachricht der GTZ – der Vorschlag wurde akzeptiert, das Projekt kann starten.
Trotz des neuen Konzepts – zum Entwicklungshelfer werde die Bundeswehr nicht, sagt Philip Ackermann, Vertreter des Auswärtigen Amtes in Kunduz. Das militärische Mandat habe Priorität. Dass aber auch für die Bundeswehr der Wiederaufbau in Afghanistan im Vordergrund steht, das müsse man zeigen.
Abzug ist keine Option
„Ich will nicht, dass die Leute unterscheiden zwischen Bundeswehr, GTZ und DED und der Deutschen Welthungerhilfe“, so Ackermann. Die sollen wissen, dass es eine einheitliche Position einer Bundesregierung ist. Im Grunde ist der Ansatz der, und das ist mein Ansatz hier und der des Auswärtigen Amtes, dass wir hier die schwarz-rot-goldene Position vertreten.“
Die Afghanen erwarten viel von den Deutschen. Und oft geraten Bundeswehr-Soldaten wie Carsten Weszka in eine Zwickmühle zwischen militärischem Auftrag und dem persönlichen Willen zu helfen. So wie in dem Moment, wenn der Dorfälteste auf Hilfe beharrt, ohne dass er die deutschen Regeln und Zuständigkeiten auch nur im Mindesten nachvollziehen kann.
Weszka: „Normalerweise versprechen wir nichts, weil die Bundeswehr kein eigenes Budget hat. Wir hängen von Gebern ab, die uns bei Projekten unterstützen.“ Der Dorfälteste: „Ja, aber wir brauchen in dieser Region wirklich dringend Hilfe.“ Weszka: „Gut, wir werden in den nächsten Wochen ein paar Cimic-Truppen in die Gegend schicken, um noch mal mit Ihnen zu reden und den Fokus hierher zu lenken.“
Weszka ist überzeugt, diese Art von Diplomatie bringe beiden Seiten etwas. Ein Truppenabzug ist für ihn jedenfalls keine Option – er selbst ist schon das zweite Mal in Afghanistan.
Stand: 25.07.2008
25. Juli 2008