„Der ,Baikal’ setzte sich in Bewegung, als die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne durch die dunstige Atmosphäre drangen und die Berge klarer hervortreten ließen. … In der allmählich fortschreitenden Morgendämmerung hinterließen diese Höhen um den See, auf dem weit und breit sonst nichts zu erblicken war, einen ungemein wilden und menschenfeindlichen, bei dem Verschwimmen der festen Umrisse sogar gespenstischen Eindruck.“
Einer der Ersten auf der Strecke
So beschreibt anno 1903 der deutsche Journalist Eugen Zabel den Beginn einer Überfahrt über den Baikalsee von Port Baikal am Abfluss der Angara auf der Westseite des Baikalsees nach Myssowaja am gegenüberliegenden Ost-Ufer. Zabel testet die gerade fertig gestellte Transsibirische Eisenbahn und erfüllt sich damit einen Traum.
Bodo Thöns, Russland-Experte und Baikal-Kenner, hat den Reisebericht des deutschen Journalisten aufgestöbert und nach einhundert Jahren nochmals herausgegeben. 14 Tage ist Zabel zwischen Moskau und Dalny, dem damaligen Endpunkt der Bahnstrecke am Pazifischen Ozean, unterwegs. Mehr als 9.000 Kilometer hat er am Ende der Reise zurück gelegt. Heute ist man immerhin noch sieben Tage unterwegs, doch die Strecke ist um einiges leichter geworden.
Mit dem Eisbrecher ans andere Ufer
Besonders der Baikalsee ist zur damaligen Zeit noch eine echte Herausforderung für die russische Bahn, muss doch jeder Zug auf einen der beiden Dampf-Eisbrecher „Baikal“ oder „Angara“ umgeladen werden. Denn noch gibt es keine Gleisverbindung zwischen den beiden gegenüberliegenden Ufern.
„Da die Schiffe täglich hin- und herfahren, kann man die Fahrstraße auf dem See auch während des Winters lange freihalten“, so Eugen Zabel in seinem Reisebericht. „Drohen die Dampfer schließlich aber einzufrieren, so werden die Passagiere mit Schlitten über den See geschafft.“ Auf dem Eis befände sich eine „Frühstücksstation“, an der sich die Fahrgäste mit Kohlsuppe aufwärmen könnten. Das sei auch nötig, denn die Expedition gehe nicht immer ganz gemütlich zu. „Besonders im Frühling entstehen im Eis oft lange Risse, die sich schon von weitem durch einen kurzen, starken Knall wie beim Abfeuern einer Rakete bemerkbar machen.“
Die sibirischen Fuhrleute, so beschreibt es Zabel, bedienten sich oft recht unkonventioneller Methoden, um die Eisspalten auf dem See zu überwinden, indem sie sich selbst frei schwimmende Schollen aus dem Eis hackten. „Diese Scholle stoßen sie dann als bewegliche Brücke samt dem Schlitten über den Riss so weit hinweg, bis sie auf der anderen Seite die feste Eisdecke wieder berührt.“ Es sollen aber, so Zabel, „bei solchen Experimenten wiederholt Schlitten im Baikalsee einfach verschwunden sein.“
Ein unheimlicher Geselle…
Für Zabel ist die Passage über den Baikalsee nur eine von vielen Stationen auf der Fahrt von Moskau nach Dalny am Pazifischen Ozean. Der Baikal jedoch hat bei ihm einen besonderen Eindruck hinterlassen: „Der Baikalsee bleibt nach wie vor ein unheimlicher Geselle, denn er ist offenbar vulkanischen Ursprungs. ….Man nimmt an, dass die Stürme und heftigen Wellenbewegungen, die auch bei sonst ruhigem Wetter entstehen, die heißen Quellen in den Bergen und das plötzliche Auftauchen des Eises an einzelnen Stellen im Winter sich nur auf diese Weise erklären lassen.“
Edda Schlager
Stand: 10.07.2009