Während einige Vogelarten die Einsamkeit vorziehen, suchen andere den Schutz der Masse. Auf einem Vogelfelsen, beispielsweise an den steilen Klippen der Färöerinseln, brüten die Vögel in riesigen Kolonien. Hier herrscht von morgens bis abends Spektakel und heilloses Durcheinander. So scheint es auf den ersten Blick. Auf den zweiten wird jedoch eine ganz bestimmte Ordnung deutlich: Jede Vogelart hat ihre eigene horizontale Schicht zum Brüten, vergleichbar mit Etagenwohnungen in einem Hochhaus. Ganz am Fuße des Felsens hausen die Dreizehenmöwen, denn sie benötigen kleine Felsvorsprünge, an denen sie ihre Nester, die überwiegend aus Tang bestehen, befestigen. Darüber wohnen die Trottellummen und Tordalken. Sie müssen ihre Brutplätze relativ leicht anfliegen können, da ihre Flugweise eher plump und schwerfällig ist.
In der oberen, grasbewachsenen Schicht logieren die Papageitaucher. Dazwischen nisten an geeigneten Stellen Eissturmvögel, Gryllteisten und Tordalken. Das Plateau oben auf dem Felsen ist außerdem noch für Silber- oder Mantelmöwen reserviert.
Voraussetzung für die Entstehung von solchen „Vogelbergen“ sind steile, unzugängliche Felswände in Küstennähe. Aber auch die Verpflegung muss stimmen. Die meisten Vogelfelsen findet man daher in den höheren Breiten, wo kalte und warme Meeresströmungen zusammenstoßen. Denn dort ist durch die ständige Umwälzung das Oberflächenwasser besonders stark mit Nährstoffen angereichert und bietet genug Futter für alle.
Ein Konkurrenzkampf um das Nahrungsangebot wäre allerdings wenig produktiv. Daher ist jede Art auf eine bevorzugte Kost spezialisiert. Papageitaucher und Tordalken fangen beispielsweise kleine Sandaale am Meeresgrund, während Trottellummen größere Fische verspeisen, die sie im freien Wasser erbeuten. Die Dreizehenmöwe bevorzugt Krebse.
Mit Hacke und Schaufel
Papageitaucher legen ihre Eier nicht auf den blanken Felsen, sondern graben eine Höhle in die Erdschicht, in der sie ein einziges Junges großziehen. Ist keine natürliche Höhle vorhanden, müssen die sie selbst ans Werk, wenn ihre Brutzeit im April beginnt. Dabei gehen sie so geschickt vor wie erfahrene Bergleute. Als Hacke dient der massive Schnabel und mit ihren Krallen scharren sie die aufgelockerte Erde nach hinten weg. Auf diese Weise entsteht ein circa ein bis zwei Meter langer Stollen, an dessen erweitertem Ende die Tiere ihr Nest bauen.
Erst, wenn sie flügge sind, verlassen die Jungtiere die Höhle zum ersten Mal, und zwar im Schutz der Nacht, um so den lauernden Raubmöwen zu entgehen. Von nun an sind sie auf sich allein gestellt und verbringen die meiste Zeit auf See. Erst nach zwei Jahren kehren sie wieder zur Kolonie zurück, um selbst Nachwuchs zu erzeugen. Wie sie nach Hunderten von Seemeilen direkt ins Schwarze treffen, ist eine navigatorische Meisterleistung. Sie gibt den Forschern heute noch Rätsel auf. Die Treue zum Nest kann manchmal dramatische Züge annehmen. So im Jahr 1973 auf der isländischen Westmänner-Insel Heimaey: Kurz nach dem Vulkanausbruch suchten die heimkehrenden Papageitaucher in der noch glühenden Asche vergeblich nach ihren Bruthöhlen.
Farbkodierte Eier
Trottellummen bauen im Gegensatz zu den Papageitauchern überhaupt keine Nester, sondern legen ihre Eier direkt auf den Felsen. Besteht da nicht die Gefahr, dass viele Eier ins Wasser kullern und verloren gehen? Die ungewöhnliche birnenartige Form verhindert jedoch, dass sie von ihrem Platz rollen. Oft sind die Lummenkolonien so dicht besetzt, dass bis zu 20 Paare auf einem Quadratmeter brüten. Wie können die Tiere da noch ihre eigenen Eier von denen der Nachbarn unterscheiden? Des Rätsels Lösung besteht in der unterschiedlichen Färbung. Was wir uns nur zu Ostern gönnen, ist bei den Trottellummen alltäglich. Die Farbtöne der Eier variieren von weiß über blau, grün, braun, violett bis schwarz.
Sprung ins kalte Wasser
Drei Wochen, nachdem die Trottellummen-Küken geschlüpft sind, müssen sie die erste Mutprobe bestehen. Zu diesem Zeitpunkt können sie noch nicht fliegen, sollen die Eltern aber schon aufs Meer hinaus begleiten. Doch wie dort unten hinkommen? Schließlich sind Lummenküken keine Bergsteiger. Da hilft nur eins: der mutige Sprung von der Klippe, oft aus einer Höhe von 250 bis 450 Metern. Das klingt verhängnisvoll, doch die Natur hat sie dafür gut gerüstet. Ihr weicher Knochenbau federt den Aufprall ab und das luftgefüllte Gefieder kommt einem Airbag gleich. Die Eltern erwarten den Nachwuchs kurz vor Anbruch der Dämmerung im Wasser und treiben die Küken durch Lockrufe an.
Das alljährliche Schauspiel treibt immer wieder Hunderte von Ornithologen Ende Juni nach Helgoland, wo sich Deutschlands einziger Vogelfelsen befindet. Zwar müssen die Küken hier nur eine Höhe von gut 40 Metern überwinden, dafür landen sie aber teilweise auf der Betonbefestigung am Fuß der Klippen. Doch wie durch ein Wunder scheint ihnen das nichts auszumachen. Sie rappeln sich auf und robben weiter in Richtung Meer.
Der Vater eskortiert das Küken anschließend ins offene Wasser, bleibt bei ihm und versorgt es mit Nahrung, bis es selbst flugfähig ist.
Stand: 14.06.2005