In der deutschen Sprache entstehen regelmäßig neue Begriffe – oft als Lehnwörter aus dem Englischen, aber auch aus Akronymen oder anderen Verkürzungen. „Handy“, „LOL“ oder „cringe“ sind einige dieser moderneren Wortschöpfungen. Denn auch die aktuelle Kultur beeinflusst die Sprache, in den letzten Jahren und Jahrzehnten trug unter anderem die Einführung des Internets und sozialer Medien zum Sprachwandel bei.
Die Frage, ob eher die Sprache eher das Denken oder aber Denken und Kultur die Sprache beeinflussen, ist deshalb schwer zu beantworten und entspricht fast einem Henne-Ei-Problem der Linguistik. Wahrscheinlich beeinflussen sich diese beiden kognitiven Prozesse gegenseitig und hängen schon seit Jahrtausenden auf komplexe Weise voneinander ab. Doch wo liegt der Ursprung dieses soziokulturellen Sprachwandels?
Wie aus 200 Sprachen 7.000 wurden
Tatsächlich gehen Forschende derzeit von 200 bis 300 Ursprungssprachen aus, aus denen sich im Laufe der Zeit die heutigen Sprachen entwickelten. Eine dieser sogenannten Protosprachen ist das Indoeuropäische oder Indogermanische, die als der Vorläufer von Deutsch, Italienisch, Griechisch oder Urdu und Sanskrit gilt. Heute haben sich aus diesen Wurzeln je nach Schätzung etwa 7.000 aktive Sprachen entwickelt.
Eine weitere Ursache für die weite Verbreitung einiger Sprachfamilien sind historische Ereignisse: Unter anderem strömten vor rund 5.000 Jahren eurasische Steppennomaden nach Europa, die neben kulturellen Neuerungen auch die indogermanische Sprache nach Europa brachten. Doch wie entstand aus diesem Ur-Indoeuropäischen dann die vielen verschiedenen Sprachen im heutigen Europa?
Eine Erklärung sind sogenannte Drifts – zufällige Änderungen in der Sprache, etwa weil einige Personen bestimmte Worte präferieren oder anders aussprechen als bisher. „Doch der reine Drift recht nicht aus, um einen erheblichen Teil der sprachlichen Vielfalt zu erklären“, erklärt Christian Bentz von der Universität Tübingen. „Ein Verständnis der globalen sprachlichen Vielfalt ist deshalb nicht möglich, ohne die physischen und sozialen Umstände der Sprachbenutzer zu analysieren.“
Die Umwelt prägt die Sprache
Ein Faktor kann beispielsweise das Klima sein. Denn auch dieses kann auf unterschiedliche Weise die Sprachentwicklung fördern: Die Frage, ob Sprachen eher volltönend laut oder leise und von vielen stimmlosen Konsonanten geprägt sind, hängt beispielsweise von den lokalen Temperaturen ab, wie eine Studie kürzlich ergeben hat. „Vereinfacht gesagt, sind Sprachen in wärmeren Regionen lauter als die in kälteren Regionen“, berichtet Søren Wichmann von der Universität Kiel. Der Grund dafür ist die unterschiedlich gute Übertragung von stimmlosen Konsonanten und volltönenden Vokalen in warmer beziehungsweise kalter Luft.
Außerdem beeinflussen unterschiedliche Umweltbedingungen auch die Tonalität von Sprachen. Beispielsweise haben Linguisten festgestellt, dass Sprachen mit komplexen Tonhöhen-Modulationen häufiger in feuchten Tropen vorkommen, während nicht-tonale Sprachen eher in trocken-kalten Gebieten wie Deutschland entstehen. Sie vermuten, dass die trockene Luft dahintersteckt, weil ein trockener Kehlkopf die subtilen Modulationen der tonalen Sprache schwerer umsetzen kann.
Umwelt als Kern der Sprachentwicklung?
Während einige Sprachfamilien mittlerweile von zahlreichen Menschen gesprochen werden und sich über weite Gebiete erstrecken, sind andere Sprachfamilien vergleichsweise klein geblieben. Eine Erklärung ist die Geografie. Demnach ist die Sprachdiversität in bestimmten geografischen Zonen, beispielsweise entlang von Küstenlinien und in gebirgigen Regionen, größer als an anderen Orten der Welt.
„Die Erklärung für die Vielfalt in Küstengebieten ist einfach“, sagt Johanna Nicols von der University of Berkeley in Kalifornien. „Die Küste bietet das ganze Jahr über proteinreiche Nahrung und Meeresströmungen mildern zudem klimatische Extreme. Außerdem vereinfacht die Küste bestimmte Handelsverbindungen und ermöglicht so wirtschaftliche Selbstversorgung für kleine Gruppen auf kleinen Territorien.“ Die hohe Sprachvielfalt in Gebirgsregionen lässt sich laut der Linguistin durch die die geografische Isolation in Bergen erklären: Diese verhindert große Bevölkerungsbewegungen, erschwert wirtschaftliche Integration und schafft Rückzugsgebiete – so entstehen mit der Zeit viele getrennte Stämme mit unterschiedlichen Sprachen.
Gebiete mit günstigen Klimabedingungen für die Landwirtschaft, in denen Pflanzen über lange Zeiträume wachsen, scheinen ebenfalls eine größere Anzahl von Sprachen zu unterstützen – umgekehrt existieren in landwirtschaftlich ungünstigen Klimazonen weniger Sprachen. „Die Sprachdichte wird zudem von ökologischen Risiken beeinflusst“, erklärt Bentz. Seiner Ansicht nach unterschätzen viele Theorien noch den Einfluss von geografischen Faktoren auf die Sprachentwicklung.