Chemie

Stark, stärker, Supersäuren

Wenn selbst Edelgase reagieren

Im Dezember 1966 war die Weihnachtsfeier an der Western Reserve University in Cleveland Ende gerade vorbei. Aber ein paar Kerzen, die vorher den festlichen Kuchen zierten, waren noch übrig. Diese brachten Joachim Lukas, einen deutschen Post-Doktoranden im Labor des Chemikers und späteren Nobelpreisträgers George Olah auf eine Idee.

Brennende Kerzen
Viele Kerzen bestehen aus Paraffin, welches aus gesättigten Kohlenwasserstoffketten besteht und sehr reaktionsträge ist. © echiner1/ CC-by 2.0

Eine Kerze verschwindet

Lukas tauchte eine der Kerzen in ein Gefäß mit einem Gemisch aus Fluorsulfonsäure und Antimonpentafluorid, die im Chemielabor stand. Plötzlich fing die Kerze an, sich aufzulösen, und verschwand schließlich komplett. Aber was machte diese Beobachtung so besonders? „Der Name Paraffin leitet sich ab vom lateinischen parum affinis. Das bedeutet: fehlende Reaktionsfreudigkeit“, erklärt Olah im Deutschlandfunk. Gängige Säuren wie Salzsäure oder Schwefelsäure können das aus gesättigten Kohlenwasserstoffen bestehende Paraffin daher nicht auflösen.

„Doch wenn man Wachse mit Säuren behandelt, die zigfach stärker sind als zum Beispiel konzentrierte Schwefelsäure, kriegt man sie doch chemisch aktiviert.“ Genau dies war offenbar beim Gemisch aus Fluorsulfonsäure und Antimonpentafluorid der Fall. „Joachim Lukas war so begeistert, dass er sagte: Hier haben wir es wirklich mit einer magischen Säure zu tun“, erinnert sich Olah. „Später hat sich dieser Name dann auch in der Fachliteratur eingebürgert.“ Zuvor hatte das Gemisch aus Fluorsulfonsäure und Antimonpentafluorid noch keinen Namen.

George Olah
George Olah erhielt 1994 den Chemienobelpreis für seinen Beitrag zur Carbokationschemie. © Bitman/ CC-by-sa 3.0

Hexafluorantimonsäure – die Säure-Nimmersatt

Die „Magische Säure“, mit der Lukas und seine Kollegen experimentierten, ist eine sogenannte Supersäure. Dabei handelt es sich um Säuren, die stärker als eine 100-prozentige Schwefelsäure sind. Doch das Gemisch aus Fluorsulfonsäure und Antimonpentafluorid ist sogar 100 Milliarden Mal stärker als die hochkonzentrierte Schwefelsäure.

In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

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Es geht aber noch stärker: Hexafluorantimonsäure, eine Mischung der sehr starken Lewis-Säure Antimonpentafluorid und Fluorwasserstoff, ist noch 100.000-mal stärker als Magische Säure. Sie gilt als die stärkste Säure der Welt und kann nur in speziellen Behältern aus Teflon aufbewahrt werden, da sie sich selbst durch Glas „frisst“.

Wie machen sie das?

Aber wieso sind Supersäuren zu all diesen Dingen fähig? Supersäuren bestehen in der Regel aus einer Lewis-Säure und einer Brønsted-Säure. Die Brønsted-Säure stellt die Protonen bereit, während die Lewis-Säure Elektronenpaare an sich bindet und so verhindert, dass das Proton mit ihnen reagiert. Dadurch bleiben die Protonen frei und das macht diese Säuren sehr reaktionsfreudig. Sie können selbst Moleküle wie Kohlenwasserstoffe und Edelgase protonieren. Hexafluorantimonsäure wird beispielsweise in der chemischen Industrie als Katalysator bei organischen Synthesen eingesetzt.

Diamantenregen
Die Diamanten, die im Mantel von Uranus und Neptun entstehen, regnen in das Innere der Eisplaneten. © European XFEL/Tobias Wüstefeld

Im Diamantenregen

Selbst Wasser könnte bei Temperaturen zwischen 1.727 und 2.727 Grad Celsius und bei Drücken zwischen 22 und 69 Gigapascal zur Supersäure werden, wie die Simulation eines Teams um Thomas Thévenet von der Sorbonne-Universität in Paris nahelegt. Sie hatten untersucht, wie sich Mischungen aus 76 Wassermolekülen und 52 Methanmolekülen unter verschiedenen Bedingungen verhalten. Dabei wurde Wasser unter extremen Temperaturen und Drücken zum Protonengeber wie für eine Supersäure typisch.

Durch die Wirkung des „supersauren“ Wassers entstand das exotische Molekül CH<sub>5</sub><sup>+</sup> – ein Kohlenstoffatom mit fünf statt der üblichen vier angelagerten Wasserstoffatome. Solche Methanium-Ionen können Reaktionen auslösen, durch die diamantähnliche Kohlenstoffkristalle entstehen. Das könnte erklären, warum es im Inneren von Eisriesen wie Neptun und Uranus Diamanten regnet.

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