Warum entwickeln nur einige Menschen Inselbegabungen und nicht alle? Oder schlummert vielleicht ein Savant in jedem? Möglich wäre es. Das deuten jedenfalls gleich mehrere Studien an.
Demenz weckt künstlerische Fähigkeiten
Schauplatz der ersten ist das Zentrum für Gedächtnis und Altern der Universität von Kalifornien in San Francisco. Im Jahr 1998 arbeitet dort der Neurologe Bruce Miller mit Patienten, die an einer speziellen Form der Gedächtnisstörung leiden, der so genannten Frontotemporalen Demenz (FTD). Fünf von ihnen fallen ihm besonders auf. Denn mit Beginn und Fortschreiten der Demenz entwickeln sie plötzlich völlig neue künstlerische Fähigkeiten und beschäftigen sich geradezu obsessiv damit. Eine 64-jährige Frau malt nun beispielsweise ausdrucksstarke und extrem naturgetreue Tiergemälde, ohne vorher jemals einen Pinsel in der Hand gehabt zu haben.
Als sich Miller umhört, stößt er auf noch sieben weitere Demenzpatienten, die durch ihre Erkrankung künstlerische und auch musikalische Begabungen entwickelten. Um diesen seltsamen Phänomen auf den Grund zu gehen, untersucht Miller die Patienten mithilfe der so genannten Single-Photon Emission Computed Tomografie (SPECT). Dieses Verfahren bildet die Strukturen des Gehirns und ihre Durchblutung dreidimensional ab und gibt Miller damit einen Hinweis darauf, welche Veränderungen die Demenz im Gehirn ausgelöst hat.
Tatsächlich entdeckt er auffällige Gemeinsamkeiten. Die linke Gehirnhälfte ist bei fast allen geschädigt, die Schwerpunkte liegen im linken Schläfenlappen und Stirnhirn. Miller zieht daraus einen gewagten Schluss: Könnte es sein, dass die Degeneration gerade in diesen Bereichen eine Hemmung der Sinnesverarbeitung aufhebt, die normalerweise überschießende visuelle Eindrücke und Ausdrucksfähigkeiten blockiert?