Inzwischen gehen Klimaforscher davon aus, dass das irdische Klimasystem mindestens neun, wahrscheinlich sogar 18 Kippelemente aufweist. Diese verteilen sich auf ganz unterschiedliche Bereiche des Planeten – von den Ozeanen und der Atmosphäre über die Cryosphäre und die Vegetation bis hin zum Meeresgrund und den Böden.
Zu den Kippelementen gehören unter anderem die Eismassen Grönlands und der Westantarktis, das arktische Meereis und der Permafrost, aber auch großräumige Strömungssysteme in Ozean und Atmosphäre wie die Nordatlantische Umwälzströmung (AMOC), der Monsun, der El Nino sowie der Jetstream. Weitere klimawirksame Kippunkte finden sich in der Biosphäre unseres Planeten: Im Ausmaß der globalen Primärproduktion, dem Absterben der Korallenriffe und auch in der Entwaldung des Amazonas.
Über die Schwelle getrieben
Wie abrupt und schnell diese „Kippschalter“ des Erdsystems umspringen, ist allerdings sehr unterschiedlich. So könnte das arktische Meereis nach Überschreiten seiner Kippschwelle schon in wenigen Jahren bis Jahrzehnten verschwinden. Triebkraft dafür ist eine klassische positive Rückkopplung: Bisher trägt die helle Eisdecke auf dem Nordpolarmeer dazu bei, große Teile der Sonneneinstrahlung zurück ins Weltall zu reflektieren. Das Eis wirkt damit dem Treibhauseffekt entgegen und ist Teil der „Kühlaggregate“ im Erdsystem.
Wird die Eisfläche jedoch kleiner, sinkt diese Kühlwirkung, weil statt des stark reflektierenden Eises nun dunkle Wasserflächen überwiegen, die das Sonnenlicht und dessen Wärme absorbieren. Als Folge heizt sich der Ozean stärker auf und bringt so noch mehr Meereis zum Schmelzen. Ab einer bestimmten Temperatur und Schmelze ist dieser sich selbst verstärkende Prozess dann nicht mehr aufzuhalten. Der Kipppunkt ist erreicht und die komplette Meereisschmelze nicht mehr aufzuhalten.
Lokales Kippen, globale Folgen
Tatsächlich vermuten Klimaforscher, dass dieses Kippelement bereits umgesprungen ist und der Nordpol sogar schon ab 2040 im Sommer eisfrei werden könnte. Indizien für diesen Wandel sind nicht nur die schrumpfende Fläche und Dicke des Meereises, sondern auch ein schwindender Eisnachschub und immer stärker werdende saisonale Schwankungen des Nordpolareises. Ob dieser Trend umkehrbar ist, ist aktuell strittig. Einige Klimaforscher stufen das Kippelement „Meereis“ aber als reversibel ein und vermuten, dass die Eisbedeckung sich erholen könnte, sobald das Klima sich wieder unter den Schwellenwert abkühlt.
Doch selbst wenn das der Fall wäre: Solange das Meereis drastisch dezimiert oder sogar komplett verschwunden ist, hätte dies nicht nur lokale Auswirkungen, sondern könnte das gesamte Erdklima weiter aufheizen. Denn mit der reflektierenden Eisfläche fällt immerhin ein „Kühlaggregat“ des Klimasystems aus. Hinzu kommt, dass sich auch großräumige Luft- und Meeresströmungen durch eine eisfreie Arktis verändern. Das hätte Folgen weit über die Arktis hinaus – unter anderem für Europa.