Astronomie/Kosmologie

Sternenkarten in der Eiszeithöhle

Astronomie in den Höhlenmalereien von Lascaux?

Frankreich nahe dem Ort Montignac in der Dordogne. Wir stehen vor einem gewaltigen Tor im Fels, dem Zugang zur berühmten Höhle von Lascaux. In dieser 1940 entdeckten Grotte befinden sich einige der ältesten Felsmalereien der Menschheitsgeschichte. 20 Meter lang und bis zu siebeneinhalb Meter hoch ist die „Halle der Stiere“, der bekannteste und am reichsten mit Malereien ausgeschmückte Abschnitt des Systems aus Gängen und Kammern.

Die ringsum an den Wänden in leuchtenden Farben hervortretenden Bilder zeigen Rinder, Hirsche, Pferde, einen Bär und eine Art Einhorn. Gemalt wurden sie in der späten Altsteinzeit vor 15.000 bis 17.000 Jahren, zu einer Zeit, als die letzte Eiszeit gerade zu Ende ging und die kleinen Gruppen der prähistorischen Jäger und Sammler langsam wieder nach Norden wanderten.

Der Auerochse von Lascaux © INFIS

Ein Auerochse mit Tupfen

Am Südende der Halle prangt ein gewaltiges Deckengemälde, mit fünfeinhalb Metern Länge das größte der gesamten Höhle. Abgebildet ist ein Auerochse, ein urzeitlicher Stier mit geschwungenen Hörnern und einem mächtigen Körper. Über seinem Widerrist eine seltsame Figur aus sechs dunklen Tupfen.

Für Michael Rappenglück, Archäoastronom am Institut für interdisziplinäre Studien (INFIS) im bayrischen Gilching, sind diese Flecken keine Verzierung oder ein Artefakt, sondern der Schlüssel zu einer astronomischen Interpretation der Malerei. Denn seiner Ansicht nach repräsentieren sie die sechs mit bloßem Auge sichtbaren Sterne der Plejaden, des Siebengestirns.

Dieser offene Sternenhaufen, direkt über dem Sternbild des Stieres stehend, ist eines der auffallendsten Phänomene am Nachthimmel und taucht in den Überlieferungen und Mythen verschiedenster Kulturen weltweit auf. Die Griechen sahen in ihnen die in den Himmel versetzten Töchter des Atlas, für die Babylonier verkörperten sie die magische Zahl 40, weil sie jedes Jahr im Spätsommer für gut 40 Tage vom Himmel verschwanden.

Die Plejaden als vorzeitlicher Jahreszeitenmarker?

Aber welchen Sinn könnten die Plejaden für die Menschen von Lascaux gehabt haben? Hatte das Siebengestirn für sie möglicherweise auch eine kalendarische Funktion? Von den antiken Griechen, viele Jahrtausende später, ist bekannt, dass sie die Plejaden als Eckpunkte des landwirtschaftlichen Jahres ansahen: Der Dichter Hesiod schrieb im 8. Jahrhundert v. Chr.: „Wenn das Gestirn der Plejaden, der Atlastöchter, heraufsteigt, fanget die Ernte an, die Saat dann, wenn sie hinabgehen.“

Die Plejaden, auch Siebengestirn genannt sind ein offener Sternenhaufen nahe dem Sternbild Stier. Sechs bis sieben von den in Wirklichkeit deutlich zahlreicheren Sternen dieses Haufens sind auch mit bloßem Auge deutlich sichtbar. © NASA/ ESA/ AURO

Aber wie sah das Ganze vor 17.000 Jahren aus? Passte auch damals die Wanderung der Plejaden zu wichtigen Zeiten im Jahreslauf? Rappenglück testete dies, indem er mithilfe einer Computersimulation die Bewegungen der Sterne und Konstellationen vor rund 17.000 Jahren rekonstruierte. Tatsächlich zeigte sich, dass die auffällige Sternengruppe damals jedes Jahr im Herbst auftauchte und im Frühjahr ihren höchsten Stand erreichte. Vom Hügel von Lascaux gesehen, erschienen die Sterne am 11. Oktober kurz vor der Morgendämmerung knapp über dem Horizont, 161 Tage später standen sie in ihrem Zenit und markierten damit den Beginn des Frühlings.

Für den Archäoastronomen Rappenglück ist daher eindeutig, dass die Plejaden auch für die vorzeitlichen Höhlenmaler schon wichtige Anzeiger für die Jahreszeiten waren und dass sie deshalb mitsamt des himmlischen Stieres an der Höhlendecke verewigt wurden.

Drei Höhlenfiguren als Sommerdreieck

In dem riesigen Auerochsen meint Rappenglück zudem noch weitere astronomische Referenzen zu erkennen: So sieht er in der seltsamen durchkreuzten Linie vor dem Kopf des Ochsen eine Markierung für die Position der Milchstraße in den steinzeitlichen Frühlingsnächten. Die dunklen Punkte im Gesicht des Tieres könnten die Sterne der Hyaden, der auch im Zusammenhang mit dem Sonnenobservatorium von Goseck diskutierten Sternengruppe symbolisieren. Das Auge des Auerochsen wäre dann der Aldebaran, der „Augenstern“ des himmlischen Stieres.

Aber auch andere Höhenzeichnungen von Lascaux sieht der umstrittene Forscher inzwischen als Himmelskarten. So finden sich an der Wand des Schachts, einem etwas abseits gelegenen Teil der Höhle, ein Stier, eine Art Vogelmensch sowie ein auf einem Stock sitzender Vogel. Nach Ansicht von Rappenglück repräsentieren die Augen der drei Figuren die Sterne Vega, Deneb und Altair – zusammen als Sommerdreieck bekannt. Sie gehören zu den hellsten Sternen am Sommerhimmel der Nordhalbkugel.

Mit dieser Interpretation steht Rappenglück allerdings zurzeit noch relativ isoliert da. Andere Archäologen und Archäoastronomen zögern, sich dieser hoch spekulativen Sichtweise anzuschließen. Zu wenig ist über die Künstler von Lascaux und ihre Kultur bekannt, zu dünn sind bisher die Indizien.

Zumindest etwas sicherer sind dagegen die Erkenntnisse über die mehr als zehntausend Jahre jüngeren Steinbauwerke, die die Menschen jenseits des Kanals hinterlassen haben.

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Stand: 01.02.2008

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Astronomie der Steinzeit
Zwischen Sonnenwende und Siebengestirn

In einem Europa vor unserer Zeit…
Das Rätsel der vorzeitlichen Kulturen

Himmelskompass und Jahreskreis
Die Sonne als steinzeitlicher Richtungs- und Zeitgeber

2.000 Jahre vor Stonehenge…
Das Sonnenobservatorium von Goseck

Stierschädel mit Sternenbezug
Himmelswissen der Steinzeit älter als gedacht

Sternenkarten in der Eiszeithöhle
Astronomie in den Höhlenmalereien von Lascaux?

Tanzender Mond überm Stein
Die Anlage von Callanish und die Recumbent Stones

Vom Pfostenkranz zum Jahrtausendbauwerk
Die Anfänge von Stonehenge und ihre astronomischen Bezüge

Ein Hufeisen als Mondcomputer
Stonehenge als astronomisches Vorhersageinstrument?

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