Vor allem in der Schilddrüse sammeln sich größere Mengen an radioaktivem Jod-131 an. Deshalb wurden in der ehemaligen Sowjetunion in den ersten Wochen nach dem Reaktorunfall insgesamt 350.000 Messungen der Gamma-Strahlung, die durch radioaktiven Zerfall in der Schilddrüse emittiert wurde, durchgeführt. Mit Hilfe von Kalibrierfaktoren konnten so die Jod-131-Gehalte in den Schilddrüsen bestimmt werden.
In Interviews wurden Informationen über den Austrieb von Kühen auf kontaminierte Weiden, die Beendigung des Verzehrs verseuchter Milch und die Durchführung einer Jodprophylaxe erfragt. Mit diesen Angaben konnte der zeitliche Verlauf der Jod-131-Aktivität in der Schilddrüse rekonstruiert und – zusammen mit den Messungen – die durch aufgenommenes Jod-131 verursachte Schilddrüsendosis ermittelt werden.
In der Abbildung ist die mittlere Dosis von Kindern und Jugendlichen in 1.034 ukrainischen und weißrussischen Orten dargestellt, in denen jeweils mehr als zehn Messungen der Jodaktivität in der Schilddrüse durchgeführt wurden. In mehr als 30 Orten lagen die mittleren Schilddrüsendosen bei über drei Sv, insgesamt erhielten 100.000 Kinder und Jugendliche Schilddrüsendosen von mehr als 100 mSv.
Kleinkinder besonders belastet
Die Dosen von Kleinkindern waren auf Grund der geringeren Schilddrüsenmasse und der fast gleich großen inkorporierten Aktivität um einen Faktor zwei bis drei höher als die mittleren Dosen. Bei ihnen wurden mit 15 Sv die höchsten Dosen gefunden. Die Strahlenexpositionen von im Jahre 1986 geborenen Kindern waren eher geringer als die Dosen von Kleinkindern, die vor dem Unfall geboren wurden.
Bei Kindern aus dem am höchsten kontaminierten deutschen Alpenrandgebiet lagen die Schilddrüsendosen auf Grund der guten Vorsorge im Bereich von fünf mSv. Dies entspricht einer effektiven Dosis von 0,25 mSv.
Verglichen mit der Schilddrüse sind die Dosen der anderen Organe gering. Externe Strahlenexpositionen und Expositionen durch inkorporiertes Radiocäsium belasten den gesamten Körper im Wesentlichen gleichmäßig stark. Es wurde geschätzt, dass in den ersten zehn Jahren nach der Reaktorkatastrophe insgesamt etwa 10.000 Menschen mit effektiven Dosen von mehr als 100 mSv exponiert wurden. Gegenwärtig werden noch mehr als 100.000 Bewohner der belasteten Gebiete mit mehr als einem mSv jährlich exponiert. Demgegenüber betragen die über die gesamte Lebenszeit aufsummierten effektiven Dosen in den am höchsten kontaminierten Gebieten Deutschlands nur zwei mSv.
Deutschland: Eine Jahresdosis extra
Insgesamt betrachtet gab es in den betroffenen Gebieten der Ukraine, Weißrusslands und Russlands über eine Millionen Menschen mit erheblichen Schilddrüsendosen durch radioaktives Jod und etwa 10.000 Menschen mit erheblichen effektiven Dosen durch andere Radionuklide, insbesondere Cäsium. In den am schlimmsten verseuchten Gebieten Deutschlands entsprachen die Strahlenexpositionen durch den Tschernobyl-Unfall nur etwa einer Jahresdosis durch natürliche Strahlung und waren deutlich geringer als die Variabilität der jährlichen natürlichen Strahlenexposition.
Stand: 21.04.2006